Rune der Knechtschaft
er allein auf der Bank gesessen hatte. Das Gefühl, dass eine Seite umgeblättert worden war, als sie den Palast erreicht hatten, so dass Mîn und ihre Reise schon sehr weit entfernt waren.
Marikani schüttelte den Kopf. »Was die Prüfung betrifft … je eher, desto besser«, sagte sie. »Das wird kein Problem sein.«
Arekh blickte durch die Fenstertür, vor der nun schwere Regentropfen auf den Kies zu fallen begannen. Marikanis Einstellung mochte anmaßend erscheinen, aber sie gefiel Arekh. Es war gut, dass sie auf ihre Eignung vertraute. Besonders, wenn sie am Hofe selbst einen solchen Feind hatte …
»Was den Prozess betrifft«, begann er. »Sie werden uns als Zeugen vernehmen, Lionor und mich …«
»Darum werdet Ihr, fürchte ich, nicht herumkommen.«
Arekh nickte. Er sah sie noch immer nicht an. »Ihr habt die besten Gründe der Welt zu wissen, dass meine Vergangenheit nicht gerade glänzend ist«, sagte er langsam. »Halios hat sicher Nachforschungen angestellt. Er wird sich dieses Wissens gegen mich bedienen - und gegen Euch.«
Marikani machte eine wegwerfende Bewegung. »Vielleicht, aber was soll ich tun? Ihr könnt Euch, soweit ich weiß, nicht in einen Mönch verwandeln. Und außerdem gibt es Schlimmeres. Was wart Ihr - Spion? Meuchelmörder? Na und? Alle Höfe bedienen sich solcher Leute! Harabec hat sein Netzwerk, und Halios hat es schamlos genutzt. Spione geben hervorragende Politiker ab! Was meint Ihr, warum Ihr mein neuer Ratgeber seid? Eure Kenntnisse können uns heute sehr nützlich sein.«
Arekh schwieg einen Moment lang. »Das ist nicht alles, Marikani.« Diesmal sah er auf, und ihre Blicke trafen sich. Er war so angespannt, dass es schmerzte, aber er musste weitersprechen. »Ich … muss Euch etwas sagen. Und ich bin nicht sicher, ob Ihr mich noch zum Ratgeber haben wollt, wenn ich fertig bin. Aber Halios darf Euch nicht überrumpeln. Ihr müsst informiert sein.«
Der Sekretär hob den Blick von seiner Arbeit.
Marikani musterte Arekh eine Weile schweigend, bevor sie nickte. »Gut. Gut … erzählt schon.« Sie wandte sich dem Sekretär zu. »Wenn Ihr uns bitte allein lassen wollt?«
Der junge Mann sammelte seine Sachen ein und ging.
Draußen rieselte der Regen auf den Kies.
KAPITEL 12
»Mein Name ist Arekh es Morales vom Gut Miras«, begann Arekh leise. »Miras liegt im Osten der Fürstentümer von Reynes. Ein unbedeutender Ort, es würde Euch dort nicht gefallen. Das Land ist fruchtbar, aber feucht und kalt, und die Landschaft ist von Sümpfen verseucht.
Mein Vater hatte sein Schwert in den Dienst des Rates der Fürstentümer gestellt, wie sein Vater vor ihm und all unsere Vorfahren. Die Morales blicken auf eine lange kriegerische Tradition zurück. Meine beiden Brüder und ich wurden daher als Kinder einer adligen Kriegerfamilie erzogen und in Geschichte, in den schönen Künsten, im Fechten und in anderen Kampftechniken unterweisen. Mit vierzehn Jahren wurde mein älterer Bruder, wie so viele Kinder in der Gegend, vom Sumpffieber hinweggerafft. Die Zuneigung meiner Eltern verlagerte sich daraufhin auf Ires, den kleinen Letztgeborenen. Er war … er war so niedlich! Er war ein reizendes Kind mit langen braunen Locken und großen, schwarzen Augen. Heiter und liebenswert, der einzige Sonnenstrahl in einer Gegend, die keine Sonne kannte. Da unsere Hauslehrer verkündeten, er sei mit dem Schwert genauso begabt wie in den schönen Künsten und Wissenschaften, beschloss mein Vater, ihn zu seinem Erben zu machen.«
»Aber«, unterbrach Marikani ihn mit gerunzelter Stirn, »kommt diese Stellung nicht dem jeweils Ältesten zu? Und da Euer älterer Bruder tot war …«
»In den Fürstentümern kann man sich seinen Erben aussuchen. Gewöhnlich ist es Brauch, dass die Väter sich für den erstgeborenen Sohn entscheiden, aber nichts zwingt sie dazu. Und Ires war so begabt und … so bezaubernd. Die Entscheidung wurde einstimmig gefällt. Sofort verbreitete sich in der Umgebung das Gerücht, ich sei eifersüchtig. Man sah mich mitleidig und etwas misstrauisch an und fragte sich, wie ich wohl reagieren würde, wenn ich mit siebzehn Jahren als mittelloser Kadett in die Armee geschickt werden würde, obwohl ich doch vor Ires geboren war. Aber in Wirklichkeit hatte kein Hauch von Eifersucht meine Seele gestreift. Es ist schwer zu erklären, warum, aber wie alle anderen war ich in Ires vernarrt. Dennoch konnte ich niemanden davon überzeugen. Die Tatsache, dass ich nicht zum Jammern neige und
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