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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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warst derjenige, der den meisten Mut aufgebracht hat, das ist alles, was ich sagen will, jawoll, Sir.« Er lächelte wieder, wenn auch zögerlich, und plötzlich dämmerte mir, was er da tat. Ich konnte es an der Verzweiflung sehen, die von jahrelanger Arschkriecherei und Entwürdigung genährt worden war. Er suchte nach Bestätigung.
    Aaron stand auf, langsam und wohlüberlegt. »Ja, ich war dabei …«
    Ich hatte gehofft, Aaron würde darüber hinwegsehen, doch ich hätte an seiner Stelle ebenso reagiert.
    »Ich war dabei. Du redest über Mut. Ich würde gern mal sehen, was du machst, wenn du siehst, wie man jemandem neben dir die Eingeweide rausbläst.« Aaron hob die Arme seitlich und ließ sie dann rasch wieder fallen, als hätte er den Drang, jemanden zu schlagen. »Warum fährst du nicht heim, wo du hingehörst? Geh und verkauf weiter deinen Scheiß.«
    Aaron war die Treppe hinauf, bevor sich jemand rühren konnte. James schaute ziemlich verdutzt drein. Er blinzelte mehrere Male, zupfte an seinem Kragen, räusperte sich und gab wieder dieses hohe Lachen von sich. »Wer, ähm, wer hat denn das Spiel gewonnen?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung«, sagte ich und legte mich in meinem Sessel zurück. »Das mit Aaron tut mir leid«, fügte ich einen Augenblick später hinzu, obwohl er lange warten konnte, wenn er eine aufrichtige Entschuldigung hören wollte. »Die letzten Tage waren für uns alle nicht ganz leicht.«
    James nickte rasch und heftete seinen Blick auf den Bildschirm. Zum ersten Mal schienen ihm die Worte ausgegangen zu sein, und ich hoffte um Aarons willen, daß es so bleiben würde.
    Der Tag schleppte sich dahin und endete wie die meisten Familientreffen: alle versammelten sich im Wohnzimmer, während Mom, Paula und James (stets mit den Schwestern gegen sich) anfingen, Geschichten aus ihrer Kindheit zu erzählen. Das war ein gutes Zeichen: wenn ihnen keine Geschichten mehr einfielen, hieß es, daß der Tag vorbei war. Ich hörte nicht zu, sondern betrachtete das Feuer und verlor mich in den Flammen. Ich war weit weg und erinnerte mich an Geschichten, die viel weiter als zwanzig oder dreißig Jahre zurücklagen. Ich fiel Jahrhunderte zurück.
    Ungefähr um sechs Uhr gingen ihnen die Geschichten aus, und alle lächelten im flackernden Feuerschein nostalgisch vor sich hin.
    Onkel James gähnte laut, stand auf und kratzte sich an den Rippen. »Ich glaube, wir sollten uns jetzt aufmachen«, sagte er. Dann beugte er sich vor, um Robin in die Wade zu kneifen. »Auf nach Hause, Schönheit.«
    Mom und Dad sagten ihnen, sie müßten sich nicht beeilen, aber das war reine Höflichkeit. Sie waren bereit zu gehen, und auch wir waren dafür bereit. Alle standen auf, streckten und beschwerten sich, zu viel gegessen zu haben, und dann begann der Abschied. Mäntel wurden angezogen, Küsse und Umarmungen ausgetauscht. Und endlich bewegte sich die ganze Meute aus unserer Diele hin zu den Wagen. Wir winkten noch, und Mom schloß die Tür, als die Motoren gezündet wurden.
    Und im Haus breitete sich eine wundervolle Stille aus.
    »Das wäre geschafft«, sagte Mom und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
    Dad nickte. »Bis Weihnachten haben wir unsere Ruhe.«
    Einsam wanderte ich ins Wohnzimmer und kniete mich vor den Kamin. Aaron kam einige Momente später dazu und setzte sich wortlos neben mich. Ich stieß mit dem Haken in die Flammen, und eine Kaskade Funken spritzte hoch wie ein Feuerwerk. Es gab mir ein angenehmes Gefühl der Macht. Feuer und Glaube. Lang vergessene Muskeln spannten sich in mir und bereiteten sich auf die Schlacht vor. Denn ich kannte meine Wurzeln – unsere Wurzeln. Und von dort, so hatte ich entschieden, rührte unser Schicksal.

40.
     
    Aaron mußte am nächsten Morgen zur Arbeit, und ich hatte beschlossen, ihn anstelle von Mom oder Dad hinzubringen, was allerdings sinnvoller gewesen wäre, da sie ohnehin fort mußten. Ich weiß nicht, wie Aaron und ich zu dieser Abmachung gelangten, aber ich weiß, warum. Wir klammerten uns aneinander. Das mußten wir. Denn es gab sonst niemanden für uns.
    »Auch ’ne Art, den Freitag zu verbringen«, sagte ich im Auto. »Wie kommst du in die Frühschicht?«
    »Irgend jemand muß es ja machen«, sagte er. »Die anderen wollten heute alle frei haben, für Ausflüge und so. Die sind schon länger im Betrieb. Also fiel das Los auf mich.« Er schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet jetzt.«
    »Aber wirklich.« Ich fuhr langsam, um unsere

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