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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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laberte weiter, und Robin hatte diesen halbherzigen Gesichtsausdruck, der sich wie folgt übersetzen ließ: Daddy, du weißt, daß ich dich immer lieben werde, denn was für eine Tochter wäre ich, wenn ich es nicht täte, aber wenn du nicht damit aufhörst, muß ich kotzen!
    Tante Paula schüttelte leicht den Kopf und kam etwas näher an mich heran. »Es ist eine Schande, daß sie dem keinen Lautstärkeregler eingebaut haben«, flüsterte sie mir zu, und wir beide lachten. Paula sah ganz wie Moms Schwester aus, hübsch und mit ersten Lachfalten um die Augen.
    Die Reaktionen meiner Vettern und Kusinen waren am leichtesten zu ertragen, weil sie die aufrichtigsten waren. Robbie verglich mich mit keinem Geringeren als Clint Eastwood, und Paulas Kinder wollten unbedingt unter den Verband sehen, worauf die frisch entkommene Robin die Augen verdrehte und »echt eklig« sagte.
    Mom führte alle ins Haus wie eine Reiseleiterin, nur Großmutter Iris tätschelte Dads Arm und sagte ihm, daß sie in ein paar Momenten nachkäme. Sie blieb mit mir in der Diele. Sie war sehr klein, fast schon winzig – Großmütter scheinen immer zu schrumpfen, wenn sie älter werden –, aber sie hielt sich so gerade, daß sie größer erschien. Ihr Haar von silberner Goldfarbe war zu einem sorgfältigen Knoten zurückgebunden, und ihr langes Gesicht lächelte sanft. Sie nahm meine Hand mit fester Entschlossenheit und zog mich näher heran.
    »Chris, achte nicht darauf, was sie sagen. Ich liebe sie als meine Familie, auch wenn es keine Blutsverwandten sind, aber ich weiß, daß einige von ihnen gerne reden, bevor sie denken.«
    Sie kicherte kehlig, und ihre Augen strahlten wie polierte Steine. Sie drückte meine Hand, und ich erwiderte den Druck. »Aber ich bin stolz auf dich. Deine Mutter hat mir gesagt, wie mutig du gewesen bist. Wer weiß, wie viele andere noch verletzt worden wären, wenn du nicht dagewesen wärst.«
    »Wenn du meinst.« Ich mußte mich zu einem Lächeln zwingen.
    Zu mir selbst sagte ich etwas anderes. Wenn ich nicht wäre, dann wäre überhaupt niemand je verletzt worden. Doch ich behielt das für mich. Denn einer Großmutter Grund zur Sorge zu geben, ist fast ebenso schlimm, wie sie zum Weinen zu bringen, und beides vermeidet man um jeden Preis.
    Sie stellte sich auf die Zehen, um mich auf die Wange zu küssen. »Aber mehr will ich darüber nicht sagen.« Sie wies auf die Treppe. »Wir sollten uns jetzt zu den anderen gesellen, sonst verbreitet James noch Gerüchte.«
    Wir versammelten uns in der Küche, trennten uns aber alsbald in zwei Gruppen. Wie altertümlich das auch klingen mag, die Frauen blieben in der Küche und schlürften Kaffee am Tisch, während die Männer sich ins Wohnzimmer zum Fernseher begaben. Die Kinder machten die Runde zwischen den Gruppen. Dad warf einige Scheite in den Kamin und schürte die schwelende Asche mit dem Schürhaken. Ein Holzklotz wollte entkommen, doch Dad zwang ihn mit der Spitze seines Stabes zurück auf seinen Platz. Funken sprühten. Dad kehrte aufs Sofa an die Seite von Onkel James zurück, der ihn mit einem ununterbrochenen Monolog über Gegenwart und Zukunft des Düngemittelgeschäftes und den Zusammenhang mit der Weltwirtschaft im allgemeinen in Beschlag nahm. Bald wurde Dads Blick glasig, und sein Gesicht gefror zu einer Maske höflichen Interesses.
    Kurz darauf stieß Robin zu uns. Mittlerweile hatte sie ihren Mantel vermutlich auf irgendein Bett geworfen. Sie trug einen engen Skipullover, und ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Mom hatte recht gehabt. Unglaublich, wie sie sich in den letzten paar Monaten entwickelt hatte. Sie hatte jetzt Brüste, oder zumindest einen guten Anfang. Und ich wurde plötzlich rot und fühlte mich mit meinen achtzehn Jahren wie ein schmutziger alter Mann. Nicht mehr lange, und ich würde im Regenmantel und ohne Unterhose vor Grundschulen herumlungern.
    »Ach, komm her«, sagte Onkel James, als Robin Anstalten machte, sich auf den Boden zu setzen. Er beugte sich vor, um sie am Handgelenk zu nehmen und sie fast aus dem Gleichgewicht zu bringen. »Warum setzt du dich nicht auf den Schoß von deinem alten Vater? Ich sehe dich ja kaum öfter als die anderen hier.«
    Robin lächelte wieder auf diese angewiderte Weise und tat, worum er sie gebeten hatte. James streichelte ihr Haar, bevor er seinen Monolog mit Dad wieder aufnahm. Der hatte nur zwei Sekunden Verschnaufpause gehabt.
    Der Morgen wurde vom Mittag abgelöst, und wir aßen um ein Uhr. Die

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