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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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steckte, schien ich einzig vor ungelösten Problemen und einer Menge Verantwortung davonzulaufen.
    Scheiße. Warum ich?
    Valerie blieb noch weitere zwanzig Minuten, und nichts von großer Bedeutung wurde zwischen uns gesprochen. Und als sie entschied, daß es Zeit sei zu gehen, legte sie mein Kissen an den Platz zurück, strich ihre Bluse glatt und ließ sich von mir zur Haustür geleiten. Ich bot ihr meine Hand; sie küßte mich, doch es war ein Kuß ohne jede Leidenschaft, und dazu noch auf die Wange. Die Art von Kuß, die man sich für Verwandte oder Kindheitsfreunde aufhebt, oder für den netten Schwulen, mit dem ein Mädchen über alles reden kann, weil er für sie keine Bedrohung darstellt.
    Ich glaube, ich hätte den Handschlag vorgezogen.
    Ich sah zu, wie sie fest und bestimmt zu ihrem kanarienvogelgelben Motorroller ging und aus meinem Leben fuhr. Das Rücklicht schoß die Straße entlang, bis es verblaßte, und das Motorgeräusch verklang im Nichts.
    Kein Schmerz, sonderbarerweise. Nur eine hohle Taubheit.
    Ich ging zurück in mein Zimmer, allein und der Gnade der verbliebenen Spuren ihres Parfüms ausgesetzt. Ich spielte eine Platte der Doors und legte mich im Dunkeln auf mein Bett. Die stürmischen Wolken der Musik trugen mich hinfort, und ich begrüßte diese Befreiung. Je weiter ich fort konnte, desto besser.
    Bis die Türklingel schellte. Sofort war ich auf den Füßen und grinste. Sie hatte ihre Meinung geändert und sich nur einen Spaß mit mir erlaubt. Ich hüpfte in den Gang und stopfte mein Hemd in die Hose. Dann zog ich es wieder heraus. Es lag kein Sinn darin, gut aussehen zu wollen, wenn ich ihr öffnete. Dann stopfte ich es wieder hinein. Es lag kein Sinn darin, daß sie dachte, ich würde mich gehenlassen.
    Die letzte Person, die ich vor der Tür erwartet hätte, war Mrs. Woodward. Sie trug das gleiche marinefarbene Kleid wie beim Gottesdienst. Ihre Augen waren rot und verquollen und ihr Gesicht bleich, was die Augen noch mehr hervorhob. Ihre dünnen, mausähnlichen Züge schienen zerbrechlich genug, um jeden Augenblick in tausend Splitter zu zerspringen.
    »Mrs. Woodward«, sagte ich und trat langsam zur Seite. »Kommen Sie doch rein.«
    Sie versuchte zu lächeln, was ihr aber nicht gelang. »Nein. Vielen Dank. Ich bin nur ganz kurz hier.« Erst da sah ich das Auto mit laufendem Motor in unserer Einfahrt.
    »Äh, ich wollte Sie schon lange mal wieder besuchen kommen … wissen Sie, nach diesem ersten Mal …«
    Sie griff nach einer meiner Hände mit ihren eigenen, kleinen und kalten. »Ich weiß. Ich weiß.« Ein Zittern ging durch ihre Schultern. »Beim Gottesdienst hatte ich keine Gelegenheit, mit dir zu reden. Ich wollte dir nur danken. Dafür, daß du Ricks Freund warst. Rick hatte wirklich nicht viele Freunde.«
    »Oh doch, Mrs. Woodward, Rick hatte eine Million Freunde.« Das mußte sie doch am Nachmittag bemerkt haben.
    Sie schüttelte den Kopf und strich das Haar zurück. »Nein. Er hatte viele Bewunderer, das stimmt. Aber nur ganz wenige, auf die er wirklich als Freunde zählen und denen er vertrauen konnte, die immer für ihn da waren. Das hat er mir gesagt. Und er hat mir gesagt, daß er sich dir am nächsten gefühlt hat.«
    Ich konnte wenig mehr tun, als einfach nur in der Tür zu stehen. Und natürlich hätte ich alles, was ich besaß, dafür gegeben, um Rick für fünf Minuten wiederzuhaben. Um ihn zu umarmen. Um ihm zu danken. Um ihm zu sagen, daß ich ihn für das liebte, was er war, nicht wegen dem, was seine Finger auf einer Gitarre tun konnten.
    »Rick war schon immer ein bißchen anders. Wir merkten es früh. Und mir scheint, daß solche Menschen gute Freunde weitaus mehr brauchen als die anderen. Du … warst immer für ihn da, wenn er Probleme hatte, Chris. Also vielen Dank.«
    Meine Stimme war kaum hörbar und klang rauh und sanft zugleich. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    Sie trat vor und umarmte mich kurz, ließ dann los. »Es gibt etwas, das du haben sollst.« Sie zog etwas Großes aus dem Schatten zu ihrer Linken, etwas, das sie ans Haus gelehnt hatte. Und sie bot es mir an. Für einen Augenblick konnte ich nur starren. Ricks zwölfsaitige Gitarre.
    Langsam und vorsichtig nahm ich die Gitarre in ihrem Tragekoffer aus ihren Händen. Hielt sie. Streichelte sie fast.
    Mrs. Woodward gelang ein Lächeln. »Rick dachte, daß du vielleicht ein kleines Talent verbirgst. Er würde sicher wollen, daß du sie bekommst. Und … und wenn er … zurückkommen sollte

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