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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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gewöhnen.«
    »Diesen Sommer ist so vieles passiert, an das ich mich erst noch gewöhnen muß. So ist es viel leichter für mich.«
    Er hielt lange genug inne, um mich anzulächeln, und ich hatte meinen Vater nicht sehr häufig auf diese Weise lächeln gesehen – so warm, so mitfühlend und liebevoll. Wie das bei Vätern nun einmal so ist, war er mehr ein Kumpel als ein Quell überfließender Gefühle gewesen, doch mit jenem Lächeln schaffte er den Übergang. Ich glaube, in jenem Augenblick gab es noch so viele Dinge, die er mir sagen wollte und die er in seinen vierundvierzig Jahren und besonders in den letzten achtzehn gelernt hatte. Doch er mußte nicht ein Wort sagen. Dieses Lächeln drückte alles aus.
    Wir brauchten noch eine halbe Stunde, um die Arbeit zu beenden, und als wir fertig waren, bemerkte ich, daß Dad jetzt beträchtlich blasser aussah als zu Anfang. Er runzelte die Stirn und rieb sich die Schulter.
    »Hey«, sagte ich und runzelte dabei selbst die Stirn. Niemand sieht seinen Vater gerne als etwas anderes als den allmächtigen Giganten, der alle Monster der Kindheit mit einem einzigen Wort bannen konnte. »Bist du in Ordnung?«
    Seine Augen waren weit fort und blickten in einen Ort jenseits unseres Hofes, einen Ort, den ich nicht sehen konnte.
    Dann kam er mit einem kleinen Ruck zurück und kicherte selbstbewußt. »Sicher. Ich glaube, ich habe mir einen Muskel gezerrt.« Er lächelte zuversichtlich, doch seine Augen schienen müde und schlapp.
    »Das ist alles?« Warum glaube ich dir nicht?
    Er ließ die Axt fallen und täuschte mit der Linken einige Geraden an.
    »Na komm schon, Kumpel. Söhnchen. Gib dein Schlechtestes.«
    Noch eine Gerade.
    Ich überrumpelte ihn, und nie werde ich diesen Blick in seinen müden Augen vergessen … Ich ging auf ihn zu und umarmte ihn.

21.
     
    Am achtzehnten August fing der Unterricht an, einem Montag. Ich hatte beschlossen, bereits freitags hochzufahren, um mich am Wochenende eingewöhnen zu können. Phil fuhr schon einige Tage früher wegen der Einführungswoche für neue Studenten, doch ich hatte mich entschlossen, mir das zu ersparen.
    Donnerstags begann ich, meine Koffer zu packen und ins Auto zu laden. An diesem Nachmittag lud ich Kleider und Kisten voller Müll auf, den ich nicht zurücklassen konnte.
    Ungefähr um halb fünf erschien ein fremder Wagen in unserer Straße. Ein irgendwie silberfarbener Vega. Unter dem Staub konnte man einige Rostflecken erkennen. Die Fahrerin stieg aus, schielte auf unsere Hausnummer und überprüfte etwas in ihrer Hand, das wie ein Papierfetzen aussah. Sie schien verwirrt, weil ich sie vom anderen Ende der Einfahrt anstarrte. Dann ging sie auf mich zu. Sie trug dunkelblaue Hosen und eine hellblaue Bluse mit langen Ärmeln, die bis zu den Ellbogen hochgekrempelt waren. Ihr Haar war honigbraun und fiel auf ihre Schultern, außer einigen Strähnen, welche die Augenbrauen streiften. Ich konnte nicht anders, ich mußte dieses Gesicht mit dem Valeries vergleichen. Man konnte es zweifellos hübsch nennen, doch war es weniger sinnlich und eher nachdenklich. Ruhig. Ernst, als hätte sie in letzter Zeit viele Gedanken gewälzt. Sie trug eine Brille mit einem riesigen Plastikgestell, was diesen Eindruck der Intelligenz unterstrich. Als sie näherkam, konnte ich erkennen, daß sie vermutlich einige Jahre älter war als ich – vielleicht Mitte zwanzig.
    »Hallo«, sagte sie leicht zögernd, obwohl sie nicht schüchtern zu sein schien. »Bist du Chris Anderson?«
    Ich nickte neugierig. »Ja.«
    »Mein Name ist Shelly Potter.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen, und ich schüttelte sie. Ihr Griff war angenehm fest und geschäftsmäßig. »Ich arbeite für den Sentinel.«
    Ich wandte mich ab und sah plötzlich einige Kisten auf dem Rücksitz, die unbedingt umgestellt werden mußten. Neugier hatte sich rasch zu Mißtrauen und vielleicht auch zu Ärger entwickelt.
    Ich sah, wie sie einen Schritt näher kam. »Ich würde gern mit dir über deinen Freund sprechen – darüber, was bei Pleasant Hills passiert ist.«
    Ich kam aus dem Auto hervor und lehnte mich schwer mit einem Arm aufs Dach.
    »Das ist vor sechs Wochen geschehen. Das sind keine Neuigkeiten mehr. Und wenn du auf der Suche nach einem herzzerreißenden Augenzeugenbericht bist, frag’ jemand anderen.«
    Die einzige Reaktion, die ich von ihr erhielt, war ein leichtes Heben der Augenbrauen. Zweifelsohne brauchte es mehr als eine offene Ablehnung, um sie zu beleidigen. Was ich

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