Runen
Haithabu bekannt geworden. Haithabu war der größte Handelsplatz der dänischen Wikinger gewesen, bis der norwegische König Haraldur III. der Harte die Ansiedlung im elften Jahrhundert hatte niederbrennen und dem Erdboden gleichmachen lassen. Auch die Archäologen Dr. Karl Kersten und Wolf Freiherr von Seefeld waren an der Exkursion beteiligt.
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Im kleinen Dorf Starobeseve angekommen. Hier ist im Augenblick die Kommandozentrale der SS-Panzerdivision Wiking unter der Leitung von Divisionskommandeur Felix Steiner untergebracht. Er setzt alles daran, die Ölförderstellen bei der Stadt Maikop im Kaukasus so schnell wie möglich unter seine Kontrolle zu bekommen. Er bezeichnet die Situation auf der Krim als äußerst unsicher und fordert uns auf, vorsichtig zu sein. Dr. Jankuhn ist ungeduldig; er will versuchen, so viel wie möglich von den historischen Kostbarkeiten der Goten zu finden, bevor der Feind die Gelegenheit bekommt, sie verschwinden zu lassen. In letzter Zeit haben die Russen Fabriken und anderes Wertvolles in den Ural verlagert, wobei sie fast alles, das sie zurücklassen mussten, zerstört haben.
Außerhalb von Maikop teilte sich die Gruppe auf. Wiking dringt in die brennende Stadt ein, während Jankuhn und Seefeld unter militärischem Geleitschutz nach Maikop reisen, um nach archäologisch Interessantem zu suchen. Gemäß einem neuen Befehl von Himmler bin ich mit Kersten nach Süden auf die Krim gefahren, um Mangup Kale und andere gotische Höhlenstädte in den Bergen östlich von Sewastopol zu untersuchen. Eine davon könnte die Hauptstadt Doros sein.
Wir haben uns einen Stützpunkt in der tatarischen Hauptstadt Bachtschyssaraj errichtet; die Tataren wurden von Stalin nach Sibirien vertrieben. In der Stadt gibt es prachtvolle Schlösser und sonstige Überreste aus dem Mittelalter, aber ich bin ausschließlich daran interessiert, gotische Gebäude und Runen aus Óðinns Zeiten zu finden.
Jeden Tag beginnen wir frühmorgens, machen Tagesreisen durch die Ruinen in den bewaldeten Anhöhen und
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die Höhlen, in die sich nachts die Partisanentruppen der Bolschewiken zurückziehen, wie man uns sagte. Wir kehren immer vor Einbruch der Dunkelheit zurück. Wir haben die Höhlenstadt Tschufut Kale erkundet, die uralte Festung Tepe Kermen und die beeindruckenden Ruinen von Eski Kermen, eine besonders mächtige Felsenburg, die zu früheren Zeiten bestimmt ein uneinnehmbares Bollwerk darstellte.
Die Ruinen von Mangup Kale liegen noch weiter südlich. Von ihnen bin ich am meisten fasziniert. In vielen Hügeln wurden Wohnräume in den Fels gehauen und auch unterirdisch angelegt. Zweifellos gibt es hier unter Tage noch viele verborgene Höhlen. Vor ein paar Jahren ließen die Russen in den Ruinen Ausgrabungen machen und stießen auf eine Menge Steinbildnisse und andere Artefakte, die ich im Museum von Bachtschyssaraj schon gesehen habe. Auf keinem dieser Steine waren gotische Runen eingeritzt.
Tag um Tag untersuche ich die Ruinen von Mangup Kale. Stehe vor der Morgendämmerung auf. Plage mich mit Hacke und Schaufel an den fundträchtigen Stellen ab, wo keine Spuren kürzlicher Erdbewegung zu sehen sind. Aber obwohl ich jetzt schon seit Wochen daran bin, habe ich nichts Bemerkenswertes gefunden. Der Krieg tobt um mich herum, aber ich blocke alles ab. Im Augenblick gehören meine Gedanken und mein Herz ganz der Vergangenheit.
Schließlich aber hatte die Suche Erfolg:
Bin endlich auf ein paar Höhlen gestoßen, deren Zugänge im Laufe der Jahrhunderte durch Geröll und Steine auf natürlichem Weg zugeschüttet und dann überwachsen wurden. Im Schein einer Fackel besah ich mir die engen Gänge, die sich tief in den Fels hineinziehen. Sie enden in einer Art Tempel, wo mitten auf dem Boden ein Opfersteinblock liegt.
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Darunter ist eine tiefe Grube. Diente sie zum Auffangen des Blutes? Ich habe die Höhlenwände genauestens untersucht, bis ich auf Einritzungen stieß, die Runen sein könnten. Habe sie vorsichtig von Staub befreit und anschließend den Stein aus jeder denkbaren Perspektive abfotografiert. Von den Einritzungen habe ich Abdrücke genommen und sie außerdem auf Papier abgezeichnet. Als ich wieder hinaustrat, war die Dämmerung hereingebrochen. Alles war still und friedlich, aber ich wusste, dass in den Ruinen bei jedem Schritt in der Dunkelheit der Nacht Lebensgefahr lauerte. So kehrte ich wieder in den Tempel zurück. In der Unterwelt von Mangup Kale wartete ich die Morgendämmerung ab.
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