Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Runen

Runen

Titel: Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
Vom Netzwerk:
und setzte sich wieder. »Es war seit gestern Abend niemand mehr hier oben.«
    »Dann gibt es nur eine Erklärung«, überlegte Kári. »Der amerikanische Professor muss die CD mitgenommen haben.«
    »Und wann bitte?«
    »Niemand von uns hat Houston beobachtet, als er hier oben seinen Hut holte, bevor er mit dem Taxi wegfuhr. Der Typ könnte die CD an sich genommen und unter seinem Mantel versteckt haben.«
    »Fällt mir schwer zu glauben, dass ein angesehener amerikanischer Professor so tief sinkt, uns zu beklauen.«
    »Die Amis sind zu allem fähig«, erwiderte Kári lapidar.
    Melkorka griff zum Handy, wählte die Nummer des Gästehauses an der Snorrabraut und verlangte Robert M. Houston.
    »Er geht nicht an sein Telefon«, sagte das Mädchen an der Rezeption nach kurzem Warten.
    |119| »Ist er denn nicht im Zimmer?«
    »Das wird dann wohl so sein.«
    Melkorka atmete einige Male tief ein und aus, um ihr Temperament in den Griff zu bekommen.
    »Dann verbinde mich bitte mit Frau Greta Schneider.«
    »Moment«, antwortete das Mädchen. »Nein, warte mal, wir haben überhaupt keinen Gast, der so heißt.«
    »Ist Houston denn nicht gestern bei euch mit einer Deutschen angekommen?«
    »Nein. Nur mit seiner Frau.«
    »Seine Frau ist bei ihm?«, fragte Melkorka verblüfft.
    »Ja, Greta Houston traf gestern Abend bei ihm ein.«
    »Dann verbinde mich mit ihr.«
    »Wie denn, da antwortet doch niemand auf ihrem Zimmer«, erklärte das Mädchen mürrisch.
    »Hast du sie heute Morgen rausgehen sehen?«
    »Nein, glaub nicht.«
    Melkorka legte auf und sah Kári nachdenklich an.
    »Irgendwas stimmt hier nicht. Ich werde mal in die Pension runterfahren.«
    Sie nahm sich die Zeit, sich zu schminken und ihr rubinrotes Haar zu richten, bevor sie in ihre weiße Jacke und die Stiefel von gleicher Farbe schlüpfte.
    Auf dem Weg die Ártúnsbrekka hinunter und die mehrspurige, vielbefahrene Miklabraut entlang geriet sie erst so richtig in Wut. Was für eine Unverfrorenheit von diesem Amerikaner, sich zuerst in ihr Haus einzuschleichen, um sie zum Abschied dann auch noch zu bestehlen.
    Sie parkte den Geländewagen vor dem Gästehaus und rauschte durch die Tür. Ein junges, zierliches Mädchen ausländischer Herkunft nahm an der Rezeption gerade die |120| Bezahlung eines jungen Ehepaares entgegen, das offensichtlich abreisen wollte. Als die beiden mit ihren Reisetaschen loszogen, fragte Melkorka nach Robert M. Houston. Die Rezeptionistin rief erneut auf dem Zimmer an, bekam jedoch keine Antwort.
    »Ich möchte bei ihm anklopfen«, erklärte Melkorka entschlossen. »Welche Zimmernummer hat er?«
    Das Mädchen an der Rezeption versuchte zu widersprechen und meinte, dass die Hotelgäste auf ihren Zimmern nicht gestört werden dürften.
    »Du hast aber die Nummer 116 angerufen, das hab ich gesehen«, zischte Melkorka und drehte sich auf dem Absatz um.
    Sie eilte die Treppe hinauf und den langen, fensterlosen Flur der ersten Etage entlang, wo sich die meisten Zimmer befanden. Vor der 116 blieb sie stehen und klopfte energisch an die Tür.
    Keine Antwort. Sie klopfte erneut. Wieder nichts. Da griff sie spontan nach dem Drehknauf und merkte, dass die Tür unverschlossen war.
    Melkorka zögerte, bevor sie öffnete. Dann überschritt sie die Schwelle. Wie angewurzelt blieb sie stehen.
    Der Amerikaner lag splitternackt auf der weißen Decke des Doppelbettes.
    Sie starrte eine ganze Weile auf seine Hände, die am Kopfende wie für Sexspielchen mit dünnen, bunten Tüchern festgebunden waren. Dann glitt ihr Blick auf die Büschel von dickem, schwarzem Brusthaar, die in unleugbar krassem Gegensatz zu dem grauen und wirren Haupthaar des Professors standen.
    Melkorka ging ein paar Schritte auf das Bett zu und |121| musste die Hände vor den Mund schlagen, um nicht laut loszuschreien. Entsetzt starrte sie auf die weit aufgerissenen, toten Augen, den tief klaffenden Schnitt und das blutige Kissen.
    Man hatte Robert M. Houston die Kehle aufgeschlitzt.
    |122| 25
    Wie angewurzelt und starr vor Schreck stand Melkorka vor dem Bett. Hinter ihr kam die Rezeptionistin ins Zimmer gestürzt. Als sie die blutige Leiche sah, fing sie ein panisches Geschrei an.
    »Hör auf!«, rief Melkorka. Sie suchte in der Jackentasche fieberhaft nach dem Handy, wählte die 112 und meldete den Mord. Dann scheuchte sie die junge Frau zurück in den Empfangsraum und befahl ihr, auf die Polizei zu warten. Sie selbst blieb in Zimmer 116. Vorsichtig näherte sie sich dem Bett, in dem

Weitere Kostenlose Bücher