Runen
von drei Runensteinen ist. Zusammen sollen sie den Weg zu den Schätzen der Vorväter weisen. Die Entdeckung des Textes auf diesem Stein beweist, dass ich auf dem richtigen Weg bin, und das ist die Hauptsache.
|102| »Was stand da in Runen auf dem Stein geschrieben?«, fragte Melkorka aufgeregt.
Aber da Höskuldur Steingrímsson es unterlassen hatte, die Worte des Runensteins ins Tagebuch zu übertragen, hatte der alte Dichter auf diese Frage natürlich auch keine Antwort.
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Melkorka fühlte sich um den wohlverdienten Lohn ihrer Anstrengungen betrogen. Trotzdem fuhr sie fort, zusammen mit Beinteinn den Runentext in lesbares Isländisch zu übertragen.
Im Frühjahr 1941 reiste Höskuldur nach Kopenhagen, wo das Alltagsleben trotz der Invasion durch die Deutschen seinen normalen Gang beibehalten hatte. Ein Jahr zuvor hatten die Dänen kapituliert, ohne zu den Waffen zu greifen, und von Widerstand gegen die deutschen Besatzer war nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil bereitete die Regierung unter Thorvald Stauning die Anpassung der Dänen an die neue Situation in Europa unter Führung des Dritten Reiches vor und forderte die dänische Nation auf, sich mit den veränderten Realitäten auf dem Kontinent abzufinden.
Der isländische SS-Mann Höskuldur dagegen vertiefte sich in alle Berichte, deren er zu den archäologischen Untersuchungen an dem Grabhügel in Jelling im 19. Jahrhundert habhaft werden konnte. Ein weiterer isländischer Runenexperte war hier für eine Weile mit ins Spiel gekommen:
Jalangur. Jelling. Ein Provinznest in Jütland. Zwei große Grabhügel aus der Wikingerzeit. Der eine Hügel wird Gormur dem Alten zugeschrieben, der bis in die zweite Hälfte
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des 10. Jahrhunderts als König über die Dänen herrschte. Der andere ist seiner Ehefrau gewidmet, die Þyri hieß. Sie stammte aus königlichem Geblüt in England. Zwei Runensteine stehen noch heute aufrecht zwischen den beiden Hügeln. Den einen ließ der alte Gormur errichten, als seine Frau, die Königin, starb. Den anderen ließ Haraldur Blauzahn, ihr Sohn, nach König Gormurs Tod mit Runen beschriften. In der Nähe der Runensteine steht eine Steinkirche aus dem elften Jahrhundert.
Oben auf dem nördlichen Hügel gab es seit jeher einen Brunnenschacht. Die Bauern glaubten jahrhundertelang, dass dort eine Wasserquelle entsprang. Das stellte sich aber als nicht richtig heraus, denn es war lediglich Regenwasser, das sich dort sammelte. Im Jahr 1820 wollten Bauern den Brunnen vergrößern und begannen, in dem Schacht zu graben. Dabei stießen sie auf die hölzerne Grabkammer, die sich mitten in dem Hügel befand. In der Grabkammer war ein Loch aus früheren Zeiten, das sicherlich von Grabräubern angelegt worden war. Man rief Fachleute herbei. Der isländische Runenexperte Finnur Magnússon konnte als Erster in die Kammer einsteigen, doch fanden sich dort keine menschlichen Knochen. 1861 machte man erneut Ausgrabungen in beiden Hügeln. Man stieß auf zahlreiche große Steine. Nirgends werden Runen erwähnt. Ich will die Steine unter den Hügeln untersuchen. Dazu muss wieder gegraben werden.
Im Sommer nahm Höskuldur an Feldarbeiten dänischer Wissenschaftler teil, die lange Stollen in die beiden Grabhügel von Jelling vortrieben. Der Leiter der Erkundung hieß Ejnar Dyggve und war Architekt. Höskuldur interessierte sich ausschließlich für die großen Steine, die bei der |105| Ausgrabung ans Tageslicht kamen. Sie bildeten Reihen, in denen aber einige fehlten. Wahrscheinlich hatten sie Bauern im Mittelalter entfernt, da sie ihre Wiesen aufbessern wollten:
Dyggve hat sonderbare Ansichten zu den Steinen. Ich glaube zu wissen, dass sie zu einer sehr großen bootsförmigen Steinsetzung nordischer Wikinger gehören. Es erscheint mir offensichtlich, dass die Schiffsetzung sich unter beiden Hügeln hinzieht und sie miteinander verbindet. Der Steven des Schiffes ist unter dem einen Hügel, das Heck unter dem anderen. Ich habe alle Steine, von denen die Erdschicht abgetragen wurde, nach Runen untersucht, ohne Anzeichen für eine Runenbeschriftung zu finden.
Mit Beginn des Herbstes 1941 schwanden Höskuldurs Hoffnungen. Zu der Zeit hatte man nur einen kleinen Teil der Schiffsetzung freigelegt, ohne irgendwo auf Runen zu stoßen. Aber etwa um die Zeit, als im Winter die archäologischen Untersuchungen beendet wurden, klang sein Bericht plötzlich anders:
Habe großen Stein im Steven des Steinschiffs untersucht. Bin auf der Unterseite auf
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