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Runen

Runen

Titel: Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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sitzen sehen. Greta grinste über die verzweifelten Versuche des Opfers, seine Hände von den Schnüren zu befreien, mit denen es ans Kopfende des Bettes gefesselt war. Sie führte die blitzende Klinge unter sein Kinn und zog sie ihm langsam und bedächtig quer durch den Hals. Das Blut spritzte aus der tiefen Wunde über das weiße Kissen, auf Gretas Hände und Brust. Dann richtete sie ihren Blick durchbohrend auf Melkorka, bleckte hämisch die Zähne und deutete mit der blutigen Mordwaffe in Melkorkas Richtung, wie zum Zeichen, dass sie die Nächste sein würde.
    Als Melkorka aus diesem schrecklich realistischen Alptraum aufschreckte, schlug ihr das Herz in der Brust, wie ein zu Tode verängstigter Vogel in einer Kinderhand mit den Flügeln schlagen mochte. Ihr rosa Schlafanzug war durchnässt von kaltem Schweiß.
    Kári schlief ruhig neben ihr, ohne einen Mucks zu tun.
    Die lebhaften Traumbilder dieser Nacht gingen ihr nicht aus dem Kopf. Schließlich stand sie auf, lief ins Badezimmer, warf das feuchte Schlafzeug in den Wäschekorb, steckte das Haar unter eine rosa Haube, drehte das Wasser |127| auf und stellte sich unter den sprudelnden Strahl. Sie schloss die Augen und wollte die schrecklichen Phantasien vom heißen Wasser fortspülen lassen.
    Es war erst sechs Uhr morgens, als sie sich nach der Dusche trockenrubbelte. Aber sie wollte sich nicht wieder ins Bett legen. Stattdessen ging sie in die Küche und machte sich einen Espresso.
    Zusammen mit Kári hatte sie sich bis spät in die Nacht ausgiebig den Kopf darüber zerbrochen, weswegen Robert M. Houston sein seltsames Täuschungsmanöver inszeniert haben mochte. Wieso hatte er so getan, als kenne er seine Ehefrau nicht, als sie bei ihnen vor der Tür gestanden hatte? Stattdessen hatte er mit ihr und über sie gesprochen, als wäre sie eine Deutsche, die er vorher noch nie gesehen hatte.
    »Ich bezweifle, dass auch nur ein einziges Wort von dem glaubhaft ist, was sie uns da aufgetischt haben«, meinte Melkorka. »Ich meine, ihre Story von diesem Freiherrn von Trittenheim, der angeblich auf dem Foto von dem U-Boot neben meinem Opa steht, ist das nicht auch die pure Lüge?«
    »Gut möglich.«
    »Aber warum haben sie mich dann so unverfroren angelogen?«
    »Auf den ersten Blick scheint mir nur eine Erklärung plausibel«, meinte Kári. »Aus irgendeinem Grund wollte dich dieser amerikanische Professor hinters Licht führen und falsche Tatsachen vorspiegeln, nur um an das Tagebuch zu kommen. Oder zumindest an den Teil davon, der über die U-Bootfahrt berichtet. Als er dein Zögern bemerkte, hat er seine Frau mit deinen Gefühlen spielen lassen. So kam |128| sie mit dieser herzzerreißenden Lügengeschichte von der Suche nach ihrem Opi daher.«
    »Und ich habe ihr das auch noch abgenommen.«
    »Würde mich nicht überraschen, wenn Houston die Gelegenheit wahrgenommen hätte, die CD an sich zu nehmen, und das dann auch in die Tat umgesetzt hat«, fuhr Kári fort. »Andererseits war das Täuschungsmanöver für ihn selbst offenbar hochriskant. Das heißt, wenn er überhaupt wegen der CD umgebracht wurde, worauf eigentlich alles hindeutet. Natürlich kann er auch aus einem ganz anderen Grund ermordet worden sein.«
    Melkorka schüttelte voller Zweifel den Kopf: »Ich glaube nicht, dass das Notizbuch meines Großvaters alleine für jemanden der Grund gewesen ist, jemanden umzubringen.«
    |129| 27
    Nachdem sie sich mit einem kräftigen heißen Kaffee gestärkt hatte, fuhr Melkorka mit der Übertragung des letzten Kapitels aus dem braunen Notizbuch fort:
    Habe heute Morgen einen neuen Befehl vom Reichsführer-SS erhalten. Er will mich im geheimen Auftrag nach Island schicken, wo ich anhand der Hinweise in Gotatýrs Runenlied den Schatz der Götter ausfindig machen soll. Himmler hat mich heute Abend zu sich bestellt, um mir die Befehle persönlich zu übergeben. Ich wurde im Flugzeug nach München gebracht und von dort mit dem Auto weiter in die Alpen. Als wir ankamen, war es bereits dunkel. Das letzte Stück fuhren wir einen engen, steilen Weg hinauf, der sich noch weiter einen fürchterlich abschüssigen Berghang emporwand und dann durch einen langen, von Menschenhand angelegten Tunnel. Dann ging es in einem Aufzug durch den Fels in ein großes Gebäude, das oben auf dem Berg errichtet ist. Im oberen Stockwerk des Gebäudes war gerade ein Fest im Gange. Ich wurde in einen Sitzungsraum im Keller des Hauses geführt. Dort machte mich SS-Obergruppenführer Karl Wolf mit

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