Runen
Fliegerangriff und wurde dabei stark beschädigt, ist aber nach den Reparaturarbeiten im Sommer wieder voll seetüchtig. Gruppenführer von Ramstein sagt, dies sei die wichtigste Fahrt des U-Bootes überhaupt, da sie das entscheidende Glied in einer Reihe von Maßnahmen ist, welche den Gang des Krieges hoffentlich verändern werden. Der Freiherr hat den Worten seines Kameraden zugestimmt und hinzugefügt, dass ihre Heldentat tausend Jahre lang besungen würde, wenn sie an ihr Ziel gelangen und ihren Plan ausführen können. Von keinem von beiden aber auch nur eine Andeutung, worin dieser Plan besteht. Ich habe zu meiner Aufgabe in Island ebenfalls geschwiegen wie ein Grab. Der Kapitän vermutet, dass ich die Bewegungen der alliierten Frachter zu verfolgen habe, die sich gerne vor Islands Küste versammeln und sich zu einem Verband zusammenschließen und von dort nach Norden und Murmansk weiterfahren. Ich lasse ihn glauben, was immer er will.
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Kurz vor Mittag steckte Kári den Kopf ins Arbeitszimmer, in dem Melkorka noch immer über dem Runentext ihres Großvaters schwitzte.
»Ich gehe mal mit Darri raus.«
»Prima, tu das.«
»Möchtest du heute den ganzen Tag damit weitermachen?«
»Ich muss das hier vor heute Abend fertigkriegen«, erwiderte Melkorka, ohne vom Bildschirm aufzusehen.
Nach neun Tagen auf See lag das deutsche U-Boot schließlich vor Island:
Das U-Boot liegt noch immer in schwerstem Wetter vor dem Loðmundarfjörður. Letzte Nacht machte der Kapitän einen Versuch, mich an Land zu bringen, musste aber wegen des Unwetters wieder abtauchen. Wir müssen den Südoststurm abwettern, der hier an der ganzen Ostküste tobt. Hoffentlich gelingt der Landgang heute Nacht. Ich kehre mit recht gemischten Gefühlen wieder nach Island zurück. Das Land ist von unseren Feinden besetzt, und die Amerikaner haben sicherlich Spione hinter jedem Erdhügel hocken. Ich habe vor, mich ungesehen nach Jökuldalsheiði durchzuschlagen, wo mein Onkel schon seit langem allein auf einem abgelegenen Bauernhof vor sich hin wirtschaftet. Da werde ich mir die nächsten Schritte überlegen.
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Gruppenführer von Ramstein hat mir einen Flachmann mit französischem Cognac als Proviant mitgegeben. Einen von vielen, die er an der Ostfront bekommen hat, wie er sagt. »Bewahre den kostbaren Tropfen bis nächstes Neujahr auf«, sagte er zu mir. »Wenn der große Knall vor Ende des nächsten Jahres Amerika erschüttern wird, werde ich mit dir auf der anderen Seite des Meeres zu Silvester anstoßen. Wenn nicht, dann bitte ich dich, auf mein letztes Wohl zu trinken.
Der große Knall? Eine Weile überlegte Melkorka, was von Ramstein wohl damit gemeint haben könnte. Am naheliegendsten erschien ihr der Schluss, dass Freiherr von Trittenheim und von Ramstein in Amerika ein großes Attentat auszuführen hatten. Irgendetwas Schreckliches, das massiv genug war, um den Gang des Weltkriegs entscheidend zu beeinflussen. Aber dann musste ihr Plan wohl ebenso gescheitert sein, da die Deutschen im Frühjahr 1945 bedingungslos kapitulierten; ein halbes Jahr nachdem die U-703 zur letzten Fahrt aufgebrochen war.
Sie las weiter.
Der Himmel war bedeckt, und eine steife südöstliche Brise wühlte die See vor der ostisländischen Fjordküste zu schwerer Brandung auf, als die Besatzung des deutschen U-Bootes Höskuldur im Schutz der Nacht heimlich an Land schaffte:
Die Matrosen an Bord der U-703 machten gegen zwei Uhr nachts das Schlauchboot fertig und stiegen ein. Zu viert ruderten sie an Land, während ich auf meinen Seesack und die Reisetasche achtgab. Die See war sehr unruhig, und an der Felsküste sah ich im Dunkeln die weiß schäumenden Brecher. Nirgends an Land war ein lebendes Wesen zu
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sehen, ebensowenig ein Licht. Die Matrosen steuerten das Schlauchboot zwischen zwei tangbewachsene Felsen und hielten es so ruhig wie möglich, während ich mit dem Gepäck auf das felsige Ufer hinaufkletterte. Ich rutschte aus und fiel platt auf den Bauch, während die Wellen über mich hinwegspülten. Ich konnte mich aber wieder aufrappeln und ging an den Felsen in Deckung. Als ich mich umsah, war das Schlauchboot bereits wieder auf dem Weg zurück zum U-Boot. Plötzlich kam der Vollmond durch die Wolken und erleuchtete wie ein Suchscheinwerfer den Strand und das Meer. Das U-Boot hätte in diesem Augenblick ein vortreffliches Ziel abgegeben. Ich hielt mich aber nicht länger auf, sondern kletterte die steilen und nassen Felsen hinauf, die
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