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Runen

Runen

Titel: Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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geschildert werden, die lediglich im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit geraten sein sollen. Darunter fallen seiner Meinung nach so bekannte Orte der altnordischen Mythologie wie
Valhöll
– das Paradies der gefallenen Krieger,
Iðavöllur
– der Versammlungsplatz der Götter,
Urðarbrunnur
– der Schicksalsbrunnen und
Mímirsbrunnur
– der Weisheitsbrunnen. Dem übrigens musste Óðinn sein Auge opfern, um daraus trinken zu dürfen. Und so weiter und so fort.«
    »Ich dachte, die Eddalieder seien ein rein literarisches Werk«, warf Melkorka ein.
    »Die meisten Wissenschaftler sind der Ansicht, dass |139| diese Lieder und Sprüche auf der Grundlage alter Mythen geschrieben wurden, die bis dahin von Generation zu Generation nur mündlich als populäre Erzählungen weitergegeben worden waren.«
    »Aber mein Großvater war von etwas anderem überzeugt?«
    »Mir scheint, mal grob zusammengefasst, dass Höskuldurs Schriften in der geistigen Tradition der Ideen stehen, mit denen einige Gelehrte des neunzehnten Jahrhunderts bis zu den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten geliebäugelt haben. Das heißt, dass in den Eddaliedern und anderen alten Texten auf Wahrheit beruhende Erzählungen über die Vorfahren der germanischen Völker enthalten sein sollen. Sie nahmen an, dass Óðinn, Þór und andere heidnische Götter so eine Art Superhelden waren, die ursprünglich aus kaukasischen Ländern am Schwarzen Meer stammten, aus Tibet oder Ultima Thule, dem angeblichen nordischen Atlantis. Sie sollen um den Beginn der christlichen Zeitrechnung auf Wanderschaft gegangen sein und auf ihren Reisen die Grundlage zur germanischen Frühgeschichte und dem heidnischen Weltbild gelegt haben. Das spiegelte eine bestimmte Interpretation der altnordischen Geschichte wider. Beispielsweise die Skjoldungensaga, die den Ursprung der Dänen auf Óðinn zurückführt, der aus Asien nach Norden zog. Aber auch Snorri Sturluson behauptet in der Heimskringla, dass die nordischen Götter aus Troja in der heutigen Türkei gekommen seien. Beide Autoren gründen ihre Berichte vermutlich auf alte Erzählungen, bei denen es keinen Grund zu der Annahme gibt, dass sie auf realen Ereignissen beruhen.«
    »Hat mein Großvater das alles tatsächlich geglaubt?«
    |140| »Sieht ganz so aus. Höskuldur hatte offenbar größtes Interesse daran, die beiden sagenhaften Brunnen Urðarbrunnur und Mímirsbrunnur zu finden. Snorri Sturluson schreibt in seiner Snorra-Edda, der jüngeren der beiden Eddas, dass Urðarbrunnur auf dem Versammlungsplatz der Götter zu finden sei. Der Mímirsbrunnur soll dagegen bei den Riesen angesiedelt sein. Höskuldur nahm an, dass es sich bei den beiden Brunnen in Wirklichkeit um ein und denselben handelte, und stützt sich dabei auf die Prophezeiung Völuspá in der Lieder-Edda. Er schreibt außerdem über seine Suche nach einem alten Runentext, der eben auf jenen uralten Brunnen des Lebens und des Todes verweisen soll.«
    »Brunnen des Lebens und des Todes?«
    »Die heidnische Weltanschauung geht davon aus, dass am Urðarbrunnur über das Leben der Menschen schicksalhaft entschieden wurde, während im Mímirsbrunnur alle Weisheit der Welt verborgen war. Somit suchte Höskuldur nach einem Brunnen, der einerseits Quelle der übernatürlichen Kräfte von Óðinn und Þór sein sollte, andererseits auch die vollkommene Weisheit und das ewige Leben verleihen sollte.«
    »Quelle des ewigen Lebens?«, wiederholte Melkorka nachdenklich.
    Njáll lächelte belustigt über ihre Reaktion. Eine Zeile aus einem alten Popsong fiel ihm unwillkürlich ein:
Who wants to live forever?
    Die Antwort darauf war klar: Sehr viele, wenn sie dazu die Möglichkeit hätten.
    »Und der Schlüssel zur Lösung soll dieses Runenlied von Gotatýr sein?«
    |141| »Ja, oder auch Óðinns Runenzauber genannt. Höskuldur geht davon aus, dass Gotatýr nur einer der zahlreichen Namen Óðinns ist, was zweifellos richtig ist. Deshalb wurde der Runentext nach ihm benannt. Gota-Týr bedeutet im Übrigen wahrscheinlich Gott oder Häuptling der Goten. Sie waren einer der germanischen Stämme, die im vierten und fünften Jahrhundert wie ein Sturm durch Europa fegten und sich beispielsweise in Dänemark und auf den britischen Inseln ansiedelten.«
    »Hast du von diesem Runentext vorher schon einmal gehört?«
    »Nein«, erwiderte Njáll kopfschüttelnd. »Es würde mich doch sehr überraschen, wenn etwas anderes dahinterstecken würde als pure Phantasie deines

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