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Runen

Runen

Titel: Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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Selbstmord auf dem Friedhof von Fossvogur überbracht hatte.
    »Die Tochter des Amerikaners war heute Morgen bei uns«, sagte Erna. »Sie hat die Leiche ihres Vaters abgeholt.«
    »Was ist mit seiner Ehefrau?«
    »Unter uns gesagt, es hat sich rausgestellt, dass Houstons Ehefrau mit dem Mord nichts zu tun hat. Sie heißt Rachel Houston und hat die USA seit über dreißig Jahren nicht mehr verlassen.«
    |145| »Das heißt, die Deutsche war gar nicht die Frau des Professors?«
    »Nein.«
    »Habt ihr mit ihr reden können?«
    »Nein, leider nicht.«
    »Ist Greta Schneider noch im Lande?«
    »Sie war ein paar Tage hier und ist unter anderem nach Nordisland gefahren, nach Akureyri, genauer gesagt, und auf die Westmännerinseln. An dem Morgen, an dem du die Leiche entdeckt hast, hat sie das Land aber verlassen«, erklärte Erna. »Wir haben Interpol eingeschaltet. Die sollen sie für uns aufspüren.«
    »Ich verstehe.«
    »Susan hat uns über den Grund der Reise ihres Vaters nach Island regelrecht ausgefragt«, fuhr die Beamtin fort. »Sie hatte ursprünglich gedacht, dass er auf Hawaii sei und dort Vorträge über deutsche Geschichte halte.«
    »Sie heißt also Susan?«
    »Ja, Susan Houston. Und sie ist nicht verheiratet. Wir haben ihr von deiner Zeugenaussage berichtet. Sie will dich unbedingt treffen, bevor sie den Sarg ihres Vaters in die USA überführt.«
    »Ich könnte sie um die Mittagszeit treffen, wenn das bei ihr geht«, antwortete Melkorka sofort. »Kommst du auch dazu?«
    Erna musste erst ihre Agenda befragen.
    »Ich könnte mich für eine Dreiviertelstunde oder so freimachen«, antwortete sie nach kurzer Überlegung.
    Sie verabredeten sich in einem Hummerrestaurant am Amtmannsstígur, einem prachtvollen Gebäude mit Vergangenheit. Umweltschützern war es gelungen, das Gebäude |146| den Klauen von Beamten zu entreißen, die es Ende der Achtziger niederreißen lassen wollten.
    Melkorka traf als Letzte ein. Susan und Erna hatten bereits bestellt.
    Susan schien in den Dreißigern zu sein. Sie war eher von kleiner Gestalt und hatte ein hageres Gesicht. Das schulterlange Haar war rötlichbraun, die Augen braun und tief und die Lippen schmal.
    »Ich hatte mich mit meinem Vater für den nächsten Monat in Baltimore verabredet«, erzählte sie traurig. »Ich glaube es immer noch nicht so recht, dass er tot sein soll, geschweige denn, dass ihn jemand ermordet hat. Mutter glaubt es auch nicht. Ihr erscheint es ebenso völlig unverständlich wie allen anderen, mit denen ich geredet habe und die meinen Vater kannten, dass ihm jemand etwas antun wollte.«
    »Mein tiefstempfundenes Beileid«, sagte Melkorka.
    »Mein Vater hat in mir das brennende Interesse an der Erforschung der deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts geweckt.«
    »Bist du Historikerin?«
    »Ja.«
    »Was ist dein Spezialgebiet?«
    »Ich habe hauptsächlich über den Zusammenhang zwischen Politik und Religion zu früheren Zeiten und heute gearbeitet«, erklärte Susan. »Mein Vater hat mich dazu angehalten. Er wusste sehr gut Bescheid über den bedeutenden Einfluss, den Religion auf die politischen Entwicklungen im zwanzigsten Jahrhundert hatte. Er hat oft gesagt, dass die Nazis in Deutschland in erster Linie gewissenlose Fanatiker mit einem blinden Buchstabenglauben waren. |147| In meiner Doktorarbeit habe ich einen Vergleich zwischen Himmler und Ignatius von Loyola angestellt, zwischen ihren Ideen und Handlungen.«
    »Und? Hast du da eine Analogie feststellen können?«
    »Ja. Es ist klar, dass die Organisationsstruktur der SS-Verbände zu einem wesentlichen Teil auf der des Jesuitenordens beruhte und dass Glaubensfanatismus und Engstirnigkeit der beiden Männer von derselben Art waren, obwohl der religiöse Hintergrund an sich jeweils völlig unterschiedlich war. Die spanische Inquisition war eine Art Gestapo der damaligen Zeit.«
    »Sind deine Eltern geschieden?«, fragte Melkorka.
    »Rein auf dem Papier nicht«, antwortete Susan. »Sie wohnen allerdings nicht mehr zusammen, seit ich vierzehn war. Mein Vater hat damals eine interessante Professur an der Uni Heidelberg angeboten bekommen. Eine viel bessere, als ihm drüben in Amerika zur Auswahl stand. Nur Mutter wollte absolut nicht nach Deutschland. Ich wohne noch bei ihr in New York, aber ich treffe meinen Vater mindestens zwei Mal im Jahr, wenn er zu uns rüberkommt, um Vorträge und Kurse zu halten. In den letzten Jahren halten wir auch über das Internet Kontakt, und ich bin ein paar Mal nach

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