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Runen

Runen

Titel: Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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damit man ihn gegen die amerikanischen Truppen einsetzen konnte.«
    »Im Ernst jetzt?«
    »Ja. Himmler gab dazu ein paar Monate vor Kriegsende noch schriftliche Befehle heraus. Würde mich überhaupt nicht überraschen, wenn ein paar durchgeknallte Neonazis |152| auf so eine Fata Morgana ebenso hereingefallen wären wie der SS-Führer.«
    Unvermittelt änderte sich Susans Gesichtsausdruck. Sie schien zu erstarren, ihr Atem ging stoßweise und klang heiser.
    »Was ist los?«, erkundigte sich Melkorka besorgt.
    Susan begann fieberhaft in ihrer Handtasche zu kramen und holte eine kleine Sprühflasche heraus. Sie sprühte sich damit einige Male in den Rachen. Nach und nach wurde ihre Atmung wieder normal.
    »Ich leide an ziemlich üblem Asthma«, entschuldigte sie sich und steckte die Flasche in die Handtasche zurück. »Der geringste Anlass reicht schon, dass ich einen Anfall bekomme.«
    Ernas Handy spielte eine flotte Schlagermelodie. Sie antwortete dem Anrufer knapp und einsilbig. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen überraschte sie gerade etwas sehr.
    »Verstehe«, schloss sie und blickte Susan ernst an. »Ich bringe sie gleich mit.«
    Ein erwartungsvolles Schweigen folgte, nachdem Erna aufgelegt hatte.
    »Du darfst niemandem etwas sagen, bevor ich dir die Erlaubnis dazu gegeben habe«, sagte Erna und blickte Melkorka durchdringend an. »Versprichst du mir das?«
    »Selbstverständlich, ich habe das Vertrauen meiner Informanten stets gewahrt.«
    Erna wandte sich an Susan: »Du bist noch nicht gebeten worden, die Leiche deines Vaters zu identifizieren, oder?«
    Susan schüttelte mit kaum verhohlener Verwunderung über diese Frage den Kopf.
    |153| »Nein. Der Sarg war verschlossen, und man sagte mir, dass ich die Leiche nicht zu sehen bräuchte, bevor ich heimkomme und das Bestattungsinstitut meinen Vater für die Beerdigung zurechtgemacht hat«, antwortete sie.
    »Warum fragst du das?«, mischte sich Melkorka heftig ein.
    Erna gelang es, ihre aufgewühlten Emotionen zu verbergen, und antwortete sanft: »Weil die Polizei von Suðurnes auf dem Weg nach Reykjavík ist und einen sechzigjährigen Amerikaner mitbringt, der behauptet, sein Name sei Robert M. Houston, seines Zeichens Professor in Heidelberg.«
    |154| 32
    Donnerstag, 10. Mai
    Tags darauf meldete sich Susan bei Melkorka. Sie war immer noch überglücklich darüber, dass sie ihren Vater lebend angetroffen hatte.
    »Mein Vater kann es nicht nachvollziehen, warum jemand seinen Namen in dieser Weise missbraucht hat«, erklärte sie. »Er möchte euch beide, Kári und dich, unbedingt zum Essen einladen, um aus erster Hand zu erfahren, was der ominöse Fremde unter seinem Namen von euch wollte.«
    Melkorka nahm die Einladung an.
    In gewisser Weise ähnelte Robert M. Houston seinem Doppelgänger im Aussehen, war aber älter und gepflegter. Sein Gesicht war sonnengebräunter, die Nase kleiner, das Haar kürzer und dunkler und die Stimme tiefer. Den größten Unterschied nahm Melkorka jedoch in seinen Augen wahr: Sie glänzten vor Begeisterung, als in dem Professor der Erzähler durchbrach.
    »Was für eine wunderbare Aussicht«, schwärmte er in tiefem Bass, nachdem sie sich im Restaurant Grillið des Hotels Saga begrüßt hatten. Mit kindlicher Begeisterung ließ er den Blick über die Bucht Faxaflói zu Reykjavíks Hausberg schweifen, der grauhaarigen Esja, und schließlich zum Gletschervulkan Snæfellsjökull, der über Wolkenfetzen am Nordwesthorizont aufragte. »Als Jugendlicher habe |155| ich Jules Verne sehr verehrt und mit besonderer Begeisterung
Die Reise zum Mittelpunkt der Erde
verschlungen. Die Geschichte erzählt von Wissenschaftlern, die durch den Feuerschlund des Snæfellsjökull ins Erdinnere reisen und dann durch ewig lange Höhlen bis zum Vulkan Stromboli in Italien gelangen. Das waren wunderbare Tage!«
    Nachdem sie das Essen bestellt und ihren Cream Sherry getrunken hatten, befriedigte Melkorka endlich die Neugier des amerikanischen Professors, der mit wachsender Verwunderung ihrem Bericht über den Besuch seines »Namensvetters« zuhörte.
    »Unglaublich!«, rief er immer wieder. Er schenkte dem vorzüglichen Rinderfilet kaum die ihm zukommende Beachtung, so sehr war seine Aufmerksamkeit gefesselt. »Mir scheint, die isländische Polizei hat noch keine Ahnung, wie der Ermordete in Wirklichkeit heißt.«
    »Das wird sich vermutlich in Kürze herausstellen«, antwortete Melkorka. »Sie haben seine Fingerabdrücke an Interpol und das FBI

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