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Runen

Runen

Titel: Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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Ort?«
    »Ich will mir den Adlerhorst selbst ansehen, bevor Sie weitere Auskünfte von mir kriegen.«
    »Sie trauen mir also noch immer nicht?«
    »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, erwiderte Melkorka.
    »Also gut«, gab Melville nach. »Alan Sexton wird sich um die Planung kümmern.«
    |202| »Ich fahre aber nicht mit ihm allein.«
    »Wie?«
    »Ich hoffe, Susan wird mich auf der Fahrt begleiten und unterstützen«, erklärte Melkorka.
    Die Tochter des amerikanischen Professors nickte zustimmend.
    »Dann ist diese Konferenz hiermit beendet«, stellte Melville in befehlsgewohntem Ton fest.
    |203| 42
    Dienstag, 15. Mai
    Am Nachmittag befand sich der Privatjet auf seinem Weg nach Deutschland bereits mitten über dem Atlantik. Alan Sexton schlief entspannt in der ersten Sitzreihe, während Melkorka und Susan nebeneinander zwei Sitzreihen hinter ihm saßen.
    Seit Susan der Videokonferenz beigewohnt hatte, war sie ungewöhnlich schweigsam und nachdenklich gewesen. Schließlich hielt Melkorka es nicht länger aus:
    »Was ist los?«
    »Ich kann an nichts anderes mehr denken als an den Ausspruch von Horaz«, antwortete sie.
    »Was für einen Ausspruch?«
    »Delicta maiorum immeritus lues.
«
    Melkorka verstand nur Bahnhof.
    »Unschuldig musst du für die Sünden deiner Vorfahren büßen.«
    Melkorka sah sie fragend an, schwieg aber.
    »Na, ich frage mich, ob es wirklich reiner Zufall ist, dass der Sohn eines Kriegsverbrechers gelähmt und hilflos dahockt. Oder auch, dass der Sohn von John Dulles Forster sen. ermordet wurde«, fuhr Susan fort. »Ist das wirklich nur Zufall, oder steckt da ein göttlicher Wille dahinter?«
    »Hat der ältere Forster etwas verbrochen?«, fragte Melkorka.
    |204| »Er hat in Rom während der gesamten fünfziger Jahre für den US-Geheimdienst gearbeitet und Dutzenden, wenn nicht Hunderten von SS-Angehörigen geholfen, nach Südamerika zu fliehen«, erklärte Susan.
    »Woher weißt du das?«
    »Ich habe da so meine Quellen.«
    Die Sünden der Vorfahren. Wieder einmal wurde Melkorka an das dunkle Erbe erinnert, das ihr Großvater ihr hinterlassen hatte.
    Susan erzählte ihr von ihrer Doktorarbeit über Himmler und Ignatius von Loyola. Beide waren für sie besonders prominente Figuren von blutigem Fanatismus, der sich durch alle Epochen der Menschheitsgeschichte zog.
    »Natürlich kann der Glaube Trost vermitteln. Aber wenn er zu Fanatismus und blindem Buchstabenglauben wird, dann erwachsen daraus immer die erpresserischen Methoden religiöser oder politischer Diktaturen«, meinte sie. »Ich sehe wenig prinzipiellen Unterschied zwischen den Schrecken der mittelalterlichen Inquisition der katholischen Kirche und der Gestapo im zwanzigsten Jahrhundert. Aber natürlich gibt es einen bedeutenden graduellen: Die Gestapo ging in ihren verbrecherischen Umtrieben ja viel weiter.«
    Susan erzählte ihr auch von ihrer Jugend in New York, den Studienjahren an der Columbia University und den persönlichen Umständen, die dazu führten, dass sie sich intensiv mit der deutschen Geschichte der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts befasste.
    »Als die Deutschen Polen überfielen, hatte meine Familie mütterlicherseits seit Generationen dort gelebt«, berichtete sie. »Oma und Opa und die meisten ihrer Verwandten |205| waren unter den vielen Millionen Juden, die von den Nazis in den Konzentrationslagern ermordet wurden.«
    »Wie wurde deine Mutter gerettet?«, erkundigte sich Melkorka.
    »Meine Mutter war erst vier, als die Familie nach Treblinka verschleppt wurde, ihr Bruder war zehn, und er versuchte, im KZ auf seine kleine Schwester aufzupassen, so gut er konnte. Als die russischen Truppen auf Treblinka zumarschierten, wurde das Lager dem Erdboden gleichgemacht, und die noch lebenden Gefangenen verbrachte man in andere Lager. Meine Mutter und mein Onkel waren dann in Auschwitz mehr tot als lebendig, als dieses furchtbare Vernichtungslager aus der Gewalt der Nationalsozialisten befreit wurde. Zwei Jahre nach Kriegsende konnten sie zu entfernten Verwandten in Nordamerika auswandern. Dort hat sie dann viel später meinen Vater kennengelernt und ihn Ende der siebziger Jahre geheiratet.«
    »Aber trotzdem wohnt jeder in seinem Land?«
    »Ja. Vater konnte sich unmöglich dazu entschließen, das attraktive Angebot einer Professorenstelle in Heidelberg auszuschlagen, obwohl er wusste, dass es für Mutter niemals in Frage käme, dort hinzuziehen. Sie wollte mir auch nie von ihrer Zeit als Kind in Treblinka

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