Runenschild
lautstark an einem der Regale
auf der anderen Seite und kam mit einem Laib Brot und
einer Speckseite zurück. Dazu balancierte sie noch eine
irdene Schale mit Schmalz, einen bauchigen Krug und
zwei Trinkbecher auf den Armen. Ganz automatisch wollte Lancelot ihr zu Hilfe eilen, dann aber blieb er stehen
und wartete mit einem Gefühl kindlicher Schadenfreude
darauf, dass Gwinneth an ihrer Aufgabe scheiterte und
ihre ganze Last zu Bruch ging. Sie tat ihm den Gefallen
jedoch nicht, sondern erreichte halbwegs unbeschadet den
Tisch neben dem großen Herd, lud alles darauf ab und
bedachte ihn mit einem gespielt vorwurfsvollen Blick.
»Wenn du wirklich ein Ritter wärest«, sagte sie, »dann
hättest du einer Dame in Not geholfen.«
Lancelot grinste. »Ich sehe keine …« Gwinneth spießte
ihn mit Blicken regelrecht auf und Lancelot führte den
Satz anders als ursprünglich geplant zu Ende: »… Not.«
»Dann heiz wenigstens kräftig ein«, sagte Gwinneth
kopfschüttelnd. »Das Brot ist hart geworden. Wir sollten
es aufbacken, bevor wir uns die Zähne daran ausbeißen.«
Lancelot legte wortlos eine Hand voll Reisig und zwei
Scheite Feuerholz nach. Er war erstaunt, welche Freude
ihm diese einfachen Handgriffe bereiteten, die er früher
nur als lästige Pflicht und oft genug als Zumutung betrachtet hatte. Und er war sogar ein bisschen erstaunt darüber,
wie sehr er die ganze Situation genoss. Dann aber wurde
ihm klar, warum das so war: Sie erinnerte ihn an den ersten Tag, den er mit Gwinneth verbracht hatte. Damals
hatte sie ihn in der Küche Camelots besucht.
»Möchtest du, dass ich uns eine Suppe zubereite?«, fragte er. Gwinneth blickte zweifelnd und Lancelot beeilte
sich hinzuzufügen: »Ich kann das. Bevor ich mich entschlossen habe, die Ritterlaufbahn einzuschlagen, war ich
ein ganz passabler Koch. Und ich hatte einen guten Lehrmeister.«
»Dagda?« Gwinneth zog einen Schnute. »Ich hatte das
eine oder andere Mal das Vergnügen, von seinen Köstlichkeiten probieren zu müssen.«
»Ach?«, machte Lancelot.
Gwinneth nickte. Mit dem unschuldigsten Gesicht der
Welt fragte sie: »Und du bist ganz sicher, dass er dich zum
Koch ausbilden wollte und nicht zum Foltermeister?«
Lancelot lachte. »So schlimm war es nun auch wieder
nicht. Artus’ Gäste haben seine Mahlzeiten immerhin
überlebt – die meisten jedenfalls«, fügte er nach einem
Moment hinzu.
Wieder lachte Gwinneth, aber das Geräusch klang anders; so anders, dass Lancelot herumfuhr und sie fragend
und sogar ein bisschen beunruhigt ansah. Und was er erblickte, das veranlasste ihn zu einem tiefen Stirnrunzeln.
Gwinneth war um den Tisch herumgegangen und starrte
auf den gewaltigen Herd, hinter dem er stand, und ein
sonderbarer Ausdruck von Trauer und Nachdenklichkeit
machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Ich frage mich, ob er
auch hier gestanden und sein Hexengebräu zusammengemischt hat.«
»Dagda?«, fragte Lancelot zweifelnd.
»Merlin«, sagte Gwinneth. Dann verbesserte sie sich.
»Dagda. Uther hat oft von seinen Kochkünsten erzählt.«
»Dagda?«, wiederholte Lancelot. »Aber ich verstehe
nicht … Was meinst du damit?«
Für die Dauer eines Atemzuges sah Gwinneth ihn nur
völlig verständnislos an. »Merlin hat hier auf Tintagel
gelebt, bevor er nach Camelot kam«, sagte sie dann.
Ungläubig riss Lancelot die Augen auf. »Hier? Dagda … Merlin hat hier gelebt?«
»Viele Jahre lang«, antwortete Gwinneth. »Ich dachte,
du wüsstest das.«
»Nein«, erwiderte Lancelot. Er war wie vor den Kopf
geschlagen. »Woher? Du … du hast es mir nie gesagt.«
»Weil jedermann es wusste.« Auch Gwinneth wirkte
jetzt verwirrt; fast ein bisschen schuldbewusst. »Aber ich
dachte …« Sie brach ab, suchte einen Moment sichtbar
nach Worten und setzte dann neu und in verändertem Tonfall an. »Er hat hier gelebt, bis Artus vierzehn Jahre alt
geworden ist und sie gemeinsam fortgegangen sind. Uther
hat mir oft davon erzählt. Es hat ihm fast das Herz gebrochen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich dachte, du wüsstest
es. Jedermann hier auf Tintagel kennt die Geschichte von
Merlin und Artus.«
»Ich nicht«, polterte Lancelot. Sein barscher Ton tat ihm
sofort wieder Leid, aber er entschuldigte sich nicht. Plötzlich war er sehr aufgeregt und sehr beunruhigt. Er hatte gewusst, dass Artus die ersten Jahre seines Lebens auf
Tintagel verbracht hatte, doch dass auch Dagda hier gelebt
hatte, war ihm neu. Wieso hatte er ihm in all den Jahren
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