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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Außer
im Herbst, wenn die Stürme zu schlimm wurden, oder in
ganz besonders bitteren Wintern.«
»Weißt du, wo sie ist?«
Gwinneth nickte. »Ich war zwei- oder dreimal dort. Es
ist lange her und der Eingang ist gut verborgen. Aber ich
glaube, ich finde ihn wieder.«
»Dann sollten wir dorthin gehen«, sagte Lancelot, erntete jedoch auch jetzt wieder ein beinahe erschrockenes
Kopfschütteln von Gwinneth.
»Das ist unmöglich«, sagte sie.
»Warum?«
»Solange sich das Wetter nicht bessert, ist es viel zu gefährlich«, antwortete Gwinneth. Lancelot wollte widersprechen, aber sie hob rasch die Hand und fuhr mit etwas
lauterer Stimme fort: »Es gibt nur einen schmalen Pfad die
Klippe hinab. Er ist schon im Sommer nicht ungefährlich,
doch jetzt, wo der Fels vereist ist und der Sturm um die
Felsen heult, wäre es Selbstmord.«
»Und unten, am Strand entlang?«
»Um diese Jahreszeit sind die Felsen überflutet«, erklärte Gwinneth. »Man müsste schon schwimmen um sie zu
erreichen – und ich vermute, dass das selbst für den tapferen Sir Lancelot zu viel wäre.«
»Dann geh wenigstens mit mir auf die Mauer hinauf und
zeige mir den Weg«, drängte er.
Gwinneth sah ihn misstrauisch an. »Vielleicht sollte ich
das besser nicht tun«, murmelte sie. »Wie ich dich kenne,
schlägst du meine Warnung in den Wind und versuchst
trotzdem in die Höhle zu steigen.« Sie seufzte. »Aber
wenn ich ihn dir nicht zeige, suchst du wahrscheinlich auf
eigene Faust danach und brichst dir am Ende noch den
Hals.«
Lancelot grinste zur Antwort und Gwinneth kapitulierte
endgültig und erhob sich.
    Als sie Tintagel verließen, war die Wolkendecke aufgerissen und es so hell, wie es diese Jahreszeit überhaupt zuließ. Gwinneth und er waren noch einmal hinauf in ihr
Zimmer gegangen, um sich wärmere Kleider und festes
Schuhwerk zu holen. Anders als Lancelot erwartet hatte,
führte sie ihn nicht zur seewärts gelegenen Mauer, sondern
quer über den Hof, durch einen leer stehenden Pferdestall
und ein kleines, abgemauertes Geviert, das mit Gerümpel
und ausrangierten und zum Teil zerbrochenen Möbeln voll
gestopft war, bis zu einer schmalen Schlupftür, die in die
dicke Mauer aus großen Bruchsteinen eingelassen war. Sie
besaß kein Schloss, sondern nur einen einfachen Riegel,
der aber offensichtlich seit einem halben Menschenalter
nicht mehr bewegt worden war, daher brauchte es ihrer
beider vereinter Kräfte, um ihn aufzubekommen.
    Um ein Haar wäre ihr Ausflug danach schon zu Ende
gewesen, denn die Tür musste nach außen aufgedrückt
werden und der Wind hielt mit solcher Gewalt dagegen,
dass sie nur gemeinsam gegen ihn ankamen. Dahinter erstreckte sich ein schmaler Pfad, der zwischen der Mauer
und der jäh abfallenden Steilküste auf ganzer Länge entlangführte, aber er verspürte wenig Lust, Tintagel einmal
komplett zu umrunden, nur um nach ihrem Ausflug wieder
hineinzugelangen. Deswegen ließ er Gwinneth noch einmal zurückgehen und ein abgebrochenes Tischbein holen,
das dicker als sein Oberschenkel war und das er so in den
Türspalt klemmte, dass der Wind die Tür nicht hinter ihnen wieder zuwerfen konnte.
    Gwinneth hatte nicht noch einmal versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, aber ihre Blicke sprachen
Bände. Und als sie endlich auf dem Pfad waren und der
graue, vom Sturm aufgepeitschte Ozean unter ihnen lag,
konnte er sie beinahe verstehen. Der Felsen, auf dem Tintagel erbaut worden war, erhob sich weit mehr als hundert
Meter über dem Meer, und dennoch konnte er selbst hier
oben die Gewalt spüren, mit der das Wasser gegen die
Steilküste anbrandete. Obwohl der Sturm längst nicht
mehr so wütete wie noch vor wenigen Tagen, fiel es ihm
schwer, sich aufrecht zu halten. Da der Pfad weniger als
einen Meter breit war und die Felsen mit einer dicken Eiskruste überzogen, drohte jeder Schritt zu einem kleinen
Abenteuer zu werden. Schon nach wenigen Metern blieb
er stehen und drehte sich zu Gwinneth um.
    »Vielleicht solltest du besser zurückgehen«, schrie er ihr
über das Heulen des Windes zu.
Gwinneth lachte. Der Sturm riss ihr den Laut von den
Lippen und trug ihn davon, aber Lancelot konnte das
grimmige Aufblitzen in ihren Augen sehen. »Ohne mich
findest du den Pfad nie! Er ist schon bei gutem Wetter
leicht zu übersehen.«
Sie wartete einen Moment vergeblich auf eine Antwort,
dann zuckte sie mit den Schultern und ging kurzerhand an
Lancelot vorbei. Sein Herz machte einen

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