Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:

niemals davon erzählt, ja nicht einmal nachdem Uther zu
Besuch nach Camelot gekommen war? Das Feuer, der
kurze Moment romantischer Erinnerung und auch sein
Hunger waren vergessen. Er trat zu Gwinneth an den
Tisch, aber nicht um sich über die Köstlichkeiten herzumachen, die ihm noch vor einem Moment das Wasser im
Munde hatten zusammenlaufen lassen, sondern um sie so
scharf und durchdringend anzusehen, als trüge sie die
Schuld an seiner Unwissenheit. »Dagda hat hier gelebt?«,
erkundigte er sich zum wiederholten Male.
»Damals nannte er sich Merlin«, sagte Gwinneth.
»Ich weiß«, unterbrach sie Lancelot unwillig, aber sie
schüttelte den Kopf und beharrte: »Es wäre mir lieber,
wenn du ihn bei diesem Namen nennen würdest, Lancelot.
Der Dagda, den du gekannt hast, war ein uralter Greis,
über den alle gelacht haben. Der Mann, an den man sich
hier erinnert, war der mächtigste Zauberer Britanniens.«
Lancelot verstand durchaus, was sie meinte, und doch
musste er sich beherrschen, um sie nicht vor Ungeduld
anzufahren. Begriff Gwinneth denn nicht, wie ungeheuer wichtig das war, was sie ihm gerade verraten hatte? »Merlin, gut. Aber wenn er hier gelebt hat …« Er brach ab,
schüttelte ein paarmal den Kopf und sah sich dann aus
weit aufgerissenen Augen um, doch bevor er irgendetwas
sagen konnte, machte Gwinneth eine Handbewegung und
ließ ein enttäuschtes Seufzen hören.
»Ich weiß, was du jetzt denkst. Seit wir zurückgekommen sind, war ich schon ein Dutzend Mal hier unten.«
Auch sie schüttelte den Kopf, sah sich einen Moment –
allerdings eher hilflos als neugierig – in dem großen Raum
um und ließ sich dann auf einen der Stühle am Tisch sinken. »Das hier ist eine Küche und sonst nichts. Glaub mir.
Ich habe jeden Fußbreit gründlich abgesucht.«
Lancelot wusste nur zu gut, was sie meinte, und auch er
verspürte im allerersten Moment Enttäuschung. Er hatte
das Bild nicht vergessen, das sie in jener schicksalhaften
Nacht auf der Wand in Dagdas Zimmer gesehen hatten:
Das Tor in eine andere Welt, das ihnen damals unheimlich
und fast ein bisschen Furcht einflößend vorgekommen
war, obwohl es doch den Weg in ihre Heimat darstellte,
die Brücke auf die Tir Nan Og, aus der sie beide kamen.
Dennoch war es nicht das gewesen, woran er gedacht
hatte. Er war zweimal dort gewesen, in jener verzauberten
Welt, von der die meisten Menschen glaubten, dass sie nur
in den alten Geschichten existierte, und er hätte es gespürt,
hätte es auch hier einen Weg auf die Insel der Unsterblichen gegeben. Sicher war Merlin zu Lebzeiten in der Lage
gewesen, auf magischem Wege ein Tor hinüber in die
Welt der Elben und Fabelwesen zu öffnen, aber Merlin
war nicht hier und er war nicht einmal mehr am Leben.
Dennoch war Lancelot plötzlich aufgeregt wie schon seit
langer Zeit nicht mehr.
»Hast du ihn kennen gelernt?«, fragte er. Noch bevor
Gwinneth etwas erwidern konnte, begriff Lancelot selbst,
was für eine dumme Frage das gewesen war, aber sie antwortete trotzdem.
»Ich war noch nicht einmal …« Sie hatte wohl sagen
wollen: Geboren , verbesserte sich aber dann: »… hier, als
Artus und er fortgegangen sind.« Für einen winzigen Moment erschien ein trauriges Lächeln auf ihrem Gesicht, das
aber sofort wieder erlosch. Als sie weitersprach, wurde
ihre Stimme leiser: »Trotzdem habe ich manchmal das
Gefühl, ihn gekannt zu haben. Irgendwie ist er immer
noch hier. Die Diener, die schon lange genug auf Tintagel
sind, um ihn kennen gelernt zu haben, behaupten, man
würde seine Gegenwart noch immer spüren.«
»Du weißt sicher, wo sein Zimmer war.« Lancelot konnte plötzlich nicht mehr still stehen und trat unruhig von
einem Bein auf das andere. »Hat er eine Kammer neben
der Küche gehabt wie in Camelot, oder …?«
»Oder ein Gemach in der höchsten Turmkammer, wie es
einem Zauberer zukommt?« Gwinneth schüttelte lachend
den Kopf. »Nein. Es gab ein Gemach, gleich neben dem
Uthers, aber dort war er nur selten. Die meiste Zeit hat er
in einer Höhle unten an den Klippen gelebt.«
»In einer Höhle?«, vergewisserte sich Lancelot.
Gwinneth hob die Schultern. »Warst du es nicht, der mir
erzählt hat, er wäre immer schon etwas seltsam gewesen?
Uther hat oft versucht ihn zu überreden, hier in der Burg
zu wohnen. Er hätte ihm eine Unterkunft gewährt, die eines Königs würdig ist. Aber er zog es wohl vor, die meiste
Zeit des Jahres unten in seiner Höhle zu verbringen.

Weitere Kostenlose Bücher