Runenschild
sich das Licht nicht
schimmernd brach. Ohne die glitzernde Eiskruste war der
Höhleneingang so gut wie unsichtbar.
»Das ist ja eine halbe Meile, wenn nicht mehr«, murmelte er ungläubig. »Und Dagda … Merlin ist jeden Tag dort
hinunter und wieder hinaufgestiegen?«
»Manchmal mehrmals«, bestätigte Gwinneth. »Wenn der
Fels nicht vereist ist, ist das alles halb so wild, aber trotzdem gefährlich genug. Als ich das erste Mal dort unten
war, habe ich den Fehler begangen, Uther davon zu erzählen. Er war so wütend, dass er mich eine Woche lang in
meinem Zimmer eingesperrt hat.«
»Und die Male danach?«, erkundigte sich Lancelot.
»Habe ich es ihm nicht gesagt«, antwortete Gwinneth in
einem Ton, als hätte er eine ziemlich dumme Frage gestellt. Sie richtete sich auf und trat demonstrativ einen
Schritt von der Felskante zurück, was Lancelot mit spürbarer Erleichterung zur Kenntnis nahm. »Nun hast du es
gesehen. Wenn sich das Wetter bessert, können wir vielleicht hinunter. Aber im Moment nicht.«
Wenn er sich nicht mit Gewalt lächerlich machen wollte,
so gab es nichts, was er darauf erwidern konnte. Und
trotzdem antwortete Lancelot nicht, sondern trat nach einem Augenblick des Zögerns dichter an die Felskante heran, ließ sich schließlich auf die Knie hinabsinken und musterte den Pfad aus eng zusammengekniffenen Augen. Er
konnte das Gefühl nicht begründen – aber er wusste einfach, dass dort unten mehr als eine leere Höhle im Fels
war. »Irgendetwas ist dort«, murmelte er.
Gwinneth sog scharf die Luft ein. »Du denkst jetzt nicht
das, was ich denke, dass du es denkst?«, fragte sie.
Lancelot verzog flüchtig die Lippen, sah aber nicht zu
ihr hoch. »Kannst du das noch mal wiederholen?«
»Du bist völlig wahnsinnig, wenn du glaubst, dass wir
dort hinuntergehen könnten!«
»Wir?« Lancelot schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich.«
Gwinneth keuchte vor Entsetzen, aber Lancelot stand
auf, streifte den Mantel von den Schultern und setzte dann
vorsichtig den Fuß auf den Anfang des schmalen Felsweges. Der Stein war glatt wie ein polierter Spiegel und der
Wind schien mit doppelter Wucht über ihn herzufallen,
nachdem er den wärmenden Mantel abgelegt hatte. Seine
Finger waren so steif vor Kälte, dass sie schmerzten, als er
nach dem rauen Stein tastete und nach einem Halt suchte.
»Lancelot, ich flehe dich an – tu das nicht!«, beschwor
ihn Gwinneth.
»Bleib, wo du bist«, wies Lancelot sie an. »Ich werde
mich nicht umbringen, das verspreche ich dir. Wenn ich
merke, dass es nicht weiter geht, kehre ich um.« Unendlich behutsam machte er einen zweiten Schritt. Gleichzeitig presste er sich mit dem Rücken so eng gegen die kalte
Felswand, wie er konnte. Der Wind heulte noch lauter und
schien sich wie mit unsichtbaren Fingern in seine Kleider
zu krallen, um ihn von seinem Halt hinunterzureißen und
in die Tiefe zu schleudern, aber Lancelot biss die Zähne
zusammen und schob sich Stück für Stück weiter.
»Also gut«, sagte Gwinneth. »Wenn du es nicht anders
willst!«
Lancelot drehte den Kopf in ihre Richtung und hätte um
ein Haar aufgeschrien, als er sah, wie sie mit einer entschlossenen Bewegung den Mantel abstreifte und ebenfalls auf den abschüssigen Pfad hinaustrat.
»Gwinneth!«, keuchte er. »Bist du wahnsinnig geworden?«
»Sicher«, antwortete sie. »Aber nicht mehr als du.«
»Tu das nicht!«, sagte Lancelot beschwörend. »Das ist
viel zu gefährlich!«
»Ach?«, machte Gwinneth schnippisch. Was sie nicht
daran hinderte, schnell und mit unerwartetem Geschick zu
ihm herabzusteigen. Obwohl Lancelots Herz vor Angst in
seiner Brust fast zersprang, musste er doch gleichzeitig
zugeben, dass sie sich mindestens so geschickt wie er dabei anstellte, wenn nicht mehr.
»Bitte, Gwinneth – geh zurück!«, flehte er trotzdem.
»Wenn du mitkommst, gerne«, erwiderte Gwinneth. Sie
war nun schon fast neben ihm angelangt und machte keine
Anstalten, kehrtzumachen oder auch nur langsamer zu
gehen.
»Also gut.« Lancelot kapitulierte. »Du hast gewonnen.
Wir gehen zurück.«
»Nur wenn du mir versprichst, dass du nicht bei der erstbesten Gelegenheit wieder herkommst und es noch einmal
versuchst«, sagte Gwinneth, während sie unerschütterlich
weiterging. »Nicht bevor der Winter vorüber ist.«
»Ich verspreche es«, versicherte Lancelot, aber damit
gab sich Gwinneth nicht zufrieden.
»Ich verlange dein Ehrenwort«, sagte sie. »Wenn du es
mir nicht gibst, dann bitte
Weitere Kostenlose Bücher