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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schnee reflektierten Mondlichts, das durch die fingerbreiten Ritzen der Bretterwände
fiel, und er hörte nicht mehr als Gwinneths regelmäßige
Atemzüge und die gedämpften Geräusche, die die Pferde
unter ihnen im Stall verursachten. Sean und seine Brüder
saßen vermutlich noch immer im Schankraum und taten
ihr Möglichstes, um sich bis zur Besinnungslosigkeit zu
betrinken, und Camelot und ihre Verfolger waren weit
weg. Vielleicht war es nur ein Traum gewesen, versuchte
er sich selbst zu beruhigen.
    Auch ein Held hatte schließlich das Recht auf Albträume, wenn er seit Monaten praktisch von der gesamten
Welt gejagt wurde.
    Es war eine Erklärung, die vielleicht dazu angetan war,
ihn selbst zu beruhigen.
Dummerweise war es nicht die Wahrheit.
Dulac schloss die Augen und lauschte in sich hinein und
das Gefühl war da. Es war nicht die Erinnerung an einen
Traum und auch kein böser Streich, den ihm seine überstrapazierten Nerven spielten, es war das unheimliche,
aber glasklare Gefühl, von etwas Unsichtbarem und unglaublich Bösem angestarrt zu werden. Er hob die Augenlider, zählte in Gedanken ganz langsam bis fünf und versuchte behutsam den Arm unter Gwinneths Kopf hervorzuziehen.
Es gelang ihm nicht. Einen Atemzug zuvor hatte Gwinneth noch geschlafen wie ein Stein, jetzt hob sie mit einem
Ruck die Lider und sah ihn voller Schrecken und hellwach
an.
»Was?«
»Nichts«, antwortete Dulac – im Flüsterton, was allein
schon beinahe reichte, um seine Antwort ad absurdum zu
führen. »Ich konnte nicht schlafen, das ist alles.«
»Das verstehe ich«, antwortete Gwinneth, als sie sich
aufrichtete und mit beiden Händen durchs Gesicht fuhr.
»Mir geht es ganz genau so. Dieser ganze Müßiggang und
das luxuriöse Leben … man ist so ausgeruht, dass man
kaum noch Schlaf findet, nicht wahr?« Sie nahm die Hände herunter, gähnte ungeniert und sah ihn spöttisch an.
»Versuch nicht mich zu belügen, Lancelot. Das hast du
noch nie sehr gut gekonnt. Was ist los?«
Dulac hob zur Antwort nur die Schultern; zumindest im
ersten Moment. Wieso nannte sie ihn Lancelot? Er war
Dulac. Lancelot war der andere, der Reiter in der silbernen
Rüstung, die das Einhorn irgendwo dort draußen vor einer
zufälligen Entdeckung verbarg. Es war absurd, aber Dulac
gestand sich ein, dass er eifersüchtig auf den Silbernen
Ritter war.
»Ich weiß es nicht«, gestand er. »Ich hatte das Gefühl,
dass … etwas da wäre.« Er lächelte unsicher. »Wahrscheinlich nur ein Albtraum.«
Gwinneth musterte ihn kurz und schweigend, dann stand
sie immer noch wortlos auf und schlich gebückt zu der roh
gezimmerten Bretterwand zur Linken.
»Das war kein Albtraum«, murmelte sie.
»Siehst du etwas?« Dulac richtete sich schlaftrunken in
eine halbwegs sitzende Position auf. Sein linker Bizeps
schmerzte an der Stelle, an der Gwinneths Kopf darauf
gelegen hatte, und er begann ihn zu massieren ohne sich
der Bewegung selbst bewusst zu sein.
»Nein«, antwortete Gwinneth. »Nur die Nacht und
Schnee. Eine Menge Schnee.«
»Es ist November«, antwortete Dulac. Nach einem Moment fügte er hinzu: »Ungefähr jedenfalls.«
Gwinneth schüttelte heftig den Kopf. »Trotzdem, es ist
viel zu kalt. Selbst für diese Jahreszeit.« Sie sah kurz in
seine Richtung, aber ihr Gesicht blieb eine dunkle Fläche,
die nahezu mit dem schwarzen und schattenfarbenen Hintergrund verschmolz.
»Du hast Recht. Da draußen ist etwas.« Dulac war mit
einer einzigen Bewegung auf den Füßen und neben ihr.
Was er sah, als er durch die fast fingerbreiten Ritzen in
der Bretterwand blickte, das war ganz genau das, was er
nach Gwinneths Schilderung erwartet hatte: Dunkelheit
und Schnee. Draußen herrschte mittlerweile fast völlige
Schwärze. In zwei oder drei Tagen war Vollmond, aber
von dem silbergrauen Schein war kaum noch etwas zu
erkennen. Der Himmel war mittlerweile völlig schwarz.
Nur ein wenig Licht, das aus keiner genau auszumachenden Quelle stammte, durchdrang die geschlossene
Wolkendecke und ließ den noch immer dicht fallenden
Schnee in schrägen Steifen geisterhaft aufleuchten; ein
gespenstisches, zugleich aber auch faszinierendes Bild,
das eine Erinnerung in Dulac auslösen wollte, es aber
nicht ganz schaffte.
Was ihm aber ohne Mühe gelang, das war, seine Furcht
zu wecken. Er hätte nicht zu sagen vermocht, wovor er
sich fürchtete, aber etwas da draußen machte ihm schreckliche Angst.
»Wir hätten nicht herkommen sollen.« Dulac

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