Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
tödlichen
Schmerz gefasst, mit dem ihn die Waffe des Pikten treffen
musste. Er hatte keine Angst vor dem Tod – die hatte er
schon lange nicht mehr –, aber er empfand tiefes Bedauern
bei dem Gedanken, dass er Gwinneth nun nicht mehr beschützen konnte.
Doch der tödliche Hieb, auf den er wartete, kam nicht.
Als er es geschafft hatte, sich auf den Rücken zu drehen
und sich mit der linken Hand Schnee und Schmutz aus den
Augen zu wischen, da war der Pikte verschwunden. Über
ihm war nur tobendes weißes Chaos und er hörte immer
noch Schreie, aber sie klangen nun anders.
Verwirrt stemmte sich Dulac in die Höhe, und was er erblickte, das ließ ihm schier das Blut in den Adern erstarren. Der Pikte lag wenige Schritte neben ihm im Schnee,
und direkt über ihm, als hätte sich der Sturm zusammengeballt um ein weißes Ungeheuer zu gebären, ragte das
Einhorn auf, das sich immer wieder auf die Hinterläufe
erhob, um seine Vorderhufe wie tödliche Waffen auf sein
wehrloses Opfer heruntersausen zu lassen. Blut hatte das
weiße Fell des Tieres besudelt und auch das gewundene
Horn, das aus seiner Stirn ragte und nur für Dulac und
andere Angehörige seines Volkes sichtbar war, glitzerte in
frischem, hellem Rot.
Obwohl er schon mehr als einmal erlebt hatte, welch unvorstellbare Kraft dieses scheinbar so edle und sanfte Geschöpf hatte, wusste Dulac, dass der Pikte längst nicht
mehr am Leben sein konnte. Dennoch gebärdete sich das
Einhorn weiter wie rasend, trampelte auf seinem Opfer
herum und stieß immer wieder mit dem nadelspitzen, fast
unterarmlangen Horn zu.
Schaudernd wandte er sich ab, setzte sich ganz auf und
fuhr sich noch einmal und jetzt mit beiden Händen durchs
Gesicht, um den Schnee wegzuwischen. Plötzlich merkte
er, wie kalt es war. Schnee war ihm unter die Kleidung
geraten, jagte einen eisigen Schauer nach dem anderen
über seinen Rücken und seine Finger waren so steif gefroren, dass er sie kaum bewegen konnte. Es kostete ihn erhebliche Mühe, sich ganz in die Höhe zu stemmen und
umzudrehen.
Das tobende Einhorn beruhigte sich allmählich. Dulac
vermied es, auch nur einen Blick auf sein Opfer zu werfen,
sondern wandte sich im Gegenteil in die andere Richtung
und versuchte das Schneegestöber hinter sich mit Blicken
zu durchdringen.
Es war sinnlos. Er konnte sich ganz in der Nähe der Stelle befinden, an der er Gwinneth verloren hatte, ebenso gut
aber auch auf der anderen Seite des Gasthauses. Selbst
hier im Wald war das Schneegestöber noch so dicht, dass
er kaum die Hand vor Augen sehen konnte; er wusste
nicht einmal mehr, aus welcher Richtung er gekommen
war, geschweige denn in welche er sich wenden musste.
Wieder mischte sich ein klagender Laut ins Heulen des
Sturmes. Diesmal war sich Dulac sicher, dass es nicht
Gwinneths Stimme war, aber das Geräusch erinnerte ihn
an ihre hoffnungslose Situation, und das allein reichte aus,
seiner Panik neue Nahrung zu geben. Er musste seine Rüstung anlegen, um zu Gwinneth zurückzukehren und sie
zu retten. Und da waren ja auch noch die beiden anderen
Pikten, die kehrtgemacht hatten, um nach ihm zu suchen.
Hinter ihm ertönte ein unwilliges Schnauben. Da Dulac
immer noch Angst hatte, sich dem totgetrampelten Pikten
zuzuwenden, zögerte er, aber dann schnaubte das Tier
erneut und diesmal klang das Geräusch eindeutig verärgert, fast schon ein bisschen drohend. Dulac drehte sich
fast widerwillig herum und sah in das edel geschnittene,
strahlend weiße Gesicht des Fabelwesens hoch, das nun
plötzlich, wie durch Zauberhand, voll gerüstet in Schabracke und Panzer vor ihm stand. Vor wenigen Augenblicken noch waren sein Fell und das gedrehte Horn auf
seiner Stirn mit dem Blut des toten Piktenkriegers besudelt
gewesen, jetzt war davon nichts mehr zu sehen. Auch die
Mordlust, die gerade noch in seinen Augen geglitzert hatte, war verschwunden, doch sie hatte etwas anderem Platz
gemacht, etwas, das Dulac nicht in Worte fassen konnte,
das ihm aber beinahe noch mehr Angst bereitete.
Er verscheuchte den Gedanken und machte eine auffordernde Geste und das Einhorn drehte sich so zu ihm um,
dass er ihm die Rüstung abnehmen konnte. Das Fabelwesen ließ ein sonderbar zufriedenes Schnauben hören, das
Dulac erneut einen kalten Schauer über den Rücken laufen
ließ. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wer von ihnen
beiden eigentlich der Herr war.
Aber jetzt war nicht der Moment für solcherlei Überlegungen. Dulac sah sich

Weitere Kostenlose Bücher