Runenschild
sich wild nach
einem weiteren Gegner um. Sean und seine Brüder waren
in erbitterte Zweikämpfe mit jeweils einem der Pikten
verstrickt, an deren Ausgang es kaum noch einen Zweifel
geben konnte. Denn auch wenn die Barbarenkrieger den
Iren zweifellos ebenbürtig waren, so hatte sie Lancelots
plötzliches Eingreifen doch vollkommen überrascht und
demoralisiert, und schließlich, nach einem nur erstaunlich
kurzen Schlagabtausch zwischen den Pikten und den Iren,
blieb nur noch ein einziger Angreifer übrig: ein hochgewachsener Mann mit schulterlangem, blondem Haar, der
bereits aus zwei tiefen Wunden blutete und kaum noch die
Kraft zu haben schien, sich auf den Beinen zu halten.
Er warf sein Schwert fort und taumelte auf die Theke zu.
Lancelot setzte mit einem wütenden Schrei zur Verfolgung an. Das Einhorn fuhr fast auf der Stelle herum.
Unter seinen Hufen zerbarsten zerbrochene Möbelstücke
zu kleineren Splittern und Lancelots hochgerissenes
Schwert prallte so hart gegen die niedrige Decke des
Schankraumes, dass es ihm fast aus der Hand geprellt
worden wäre. Der Pikte setzte zu einem verzweifelten
Spurt an, kam aber ins Stolpern und fiel dicht vor der Theke zu Boden. Sofort rappelte er sich wieder auf, kam aber
nicht auf die Füße, sondern kroch auf Händen und Knien
weiter. Das Einhorn prallte gegen ihn und schleuderte ihn
zur Seite. Der Krieger überschlug sich zwei- oder dreimal,
krachte hart auf den Rücken auf und kroch mit angstverzerrtem Gesicht rücklings weiter.
»Nein!«, flehte er. »Nein! Gnade, Herr!«
Dulac, der noch immer irgendwo in Lancelot war, schrie
voller Entsetzen auf, aber seine Stimme verhallte ungehört. Dieser Pikte war kein Gegner mehr, nur noch ein
Mensch, der von nackter Todesangst geschüttelt und noch
dazu schwer verwundet war und um sein Leben flehte;
aber auch Lancelot war in diesem Moment nicht mehr
Herr seiner selbst. Vor seinem inneren Auge sah er nur
Gwinneths blutüberströmtes Gesicht, die Angst in ihrem
Blick und die Kleidung, die in Fetzen hing und mehr über
ihre Flucht hierher verriet, als alles andere. Ohne auch nur
einen Sekundenbruchteil zu zögern beugte sich Lancelot
im Sattel vor und durchbohrte den Pikten mit seinem
Schwert. Und er ließ es nicht dabei bewenden, sondern
stieß noch einmal zu und noch einmal, und ganz gleich,
welches Entsetzen er noch vor Augenblicken empfunden
hatte, nun war er es, der das Einhorn herumriss und das
Tier dazu brachte, auf dem längst leblosen Körper herumzutrampeln, während er selbst immer wieder und wieder
mit dem Schwert zustieß.
Seine Raserei beruhigte sich erst, als eine Hand nach
dem Zaumzeug des Einhorns griff und das Tier mit einem
Ruck zurückriss. Lancelot fuhr wütend im Sattel herum,
das Schwert schon wieder halb erhoben um zuzuschlagen,
doch im allerletzten Moment erkannte er, dass es kein weiterer Pikte war, der ihn da hinterrücks angriff, sondern
niemand anderer als Sean.
Der Ire blickte ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und
maßloser Verwirrung an, aber auch er hatte das Schwert
halb erhoben und war bereit sich zu verteidigen. Offensichtlich war er nicht völlig davon überzeugt, wirklich
einem Verbündeten gegenüberzustehen.
»Es ist vorbei, Herr«, sagte er. »Hört auf!«
Lancelot starrte ihn noch für die Dauer eines Herzschlages verständnislos an, dann aber sah er wieder nach unten
und erkannte schaudernd, was er getan hatte. Für einen
Moment schloss er die Augen, bevor er hörbar ausatmete
und endlich das Schwert sinken ließ.
Auf einen leichten Schenkeldruck hin bewegte sich das
Einhorn zwei Schritte rückwärts und auch Sean ließ den
Zügel los und trat zur Seite. Ein flüchtiges Stirnrunzeln
huschte über sein Gesicht, als er auf den toten Pikten hinabsah, doch er sagte nichts, sondern blickte nur wieder zu
Lancelot hoch.
Es war vorbei. Der Kampf war zu Ende. Sämtliche Pikten waren gefallen, während Sean und seine Familie den
Kampf nahezu unbeschadet überstanden zu haben schienen; nur einer der langhaarigen jungen Männer presste die
Hand gegen den linken Oberarm, und zwischen seinen
Fingern sickerte Blut hervor.
»Ich danke Euch, Herr«, sagte Sean – allerdings mit einer Stimme, die viel mehr von Verwirrung und Misstrauen
erfüllt war als von wirklicher Dankbarkeit. »Ohne Euch
hätten wir es wahrscheinlich nicht geschafft.«
Lancelot hörte gar nicht hin, sondern drehte das Einhorn
auf der Stelle herum und ritt langsam auf Gwinneth zu.
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