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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hastig um – er hatte die beiden
anderen Pikten, die noch irgendwo durch den Wald streiften und nach ihm suchten, nicht vergessen – dann schlüpfte er aus seinen Kleidern und legte in Windeseile die silberne Rüstung an. Mit jedem Teil verwandelte er sich
wieder ein bisschen mehr in den Silbernen Ritter Lancelot.
Und das nicht nur äußerlich. Panik und Furcht entschwanden im gleichen Maße, in dem er seine Ausrüstung komplettierte. Als er sich schließlich aufrichtete, den Schild
am linken Arm befestigt und als Letztes das Helmvisier
herunterklappte, da war der Küchenjunge Dulac zwar noch
irgendwo in ihm, aber seine Angst war erloschen. Er fühlte sich wieder von der schier unbezwingbaren Kraft all
derer durchströmt, die diese magische Rüstung vor ihm
getragen hatten, und er hatte keine Angst mehr vor den
beiden Pikten, die irgendwo ganz in der Nähe sein mussten, sondern fieberte im Gegenteil eher dem Moment entgegen, in dem sie ihn fanden.
Er musste nicht lange warten. Das Einhorn schnaubte
und scharrte unruhig mit den Vorderhufen über den
Schnee, und gerade als Lancelot sich zu ihm umdrehen
wollte um in den Sattel zu steigen, hörte er einen überraschten Ausruf hinter sich.
Die beiden Barbarenkrieger tauchten nebeneinander aus
dem Schneegestöber auf. Jeder von ihnen war mindestens
eine Handspanne größer als Lancelot und viel breitschultriger und kräftiger; sie trugen schwere Rüstungen aus
schwarzem Leder und schartige, plumpe Schwerter, deren
bloßer Anblick Lancelot schaudern ließ. Obwohl sie der
Anblick des ganz in Silber gekleideten Ritters, der so jäh
vor ihnen stand, vollkommen überraschen musste, zögerten sie nur einen winzigen Moment, bevor sie auseinander
wichen, um ihn gleichzeitig und aus zwei verschiedenen
Richtungen anzugreifen.
»Tut das nicht«, warnte sie Lancelot. »Ich habe keinen
Streit mit euch. Geht und ich lasse euch am Leben.«
Falls die beiden Pikten seine Worte über dem Heulen des
Sturmes überhaupt verstanden, so reagierten sie nicht darauf. Ganz im Gegenteil: Der Krieger zu seiner Linken
sprang mit einem gellenden Kampfschrei vor und schwang
seine gewaltige Waffe mit beiden Händen hoch über dem
Kopf, während sein Kamerad abwartend stehen blieb,
zweifellos um Lancelot in den Rücken zu fallen, sobald er
sich dem ersten Gegner zuwandte.
Lancelot dachte jedoch nicht daran, das zu tun. Er ignorierte den angreifenden Pikten vollkommen, wandte sich
stattdessen dem anderen zu und zog das Schwert aus dem
Gürtel. Hinter ihm ertönte ein schrilles Wiehern, gefolgt
von einem dumpfen Laut und einem keuchenden Schrei,
und die Augen des zweiten Pikten wurden groß vor Entsetzen, als er sah, was sich hinter Lancelot abspielte.
Er überlebte seinen Kameraden nur um die Dauer eines
Atemzuges. Lancelots Schwert durchbohrte seine schwarze Lederrüstung und sein Herz, nahezu ohne auf spürbaren
Widerstand zu stoßen. Lautlos kippte der Mann nach hinten und starb, noch bevor er in den Schnee fiel.
Langsam wandte Lancelot sich um. Sein Herz klopfte.
Er war auf Schlimmes vorbereitet, doch das Einhorn stand
einfach nur ruhig da und blickte ihn auffordernd an. Offensichtlich war der Blutdurst der Bestie, die sich hinter
der Maske dieses wunderschönen Geschöpfes verbarg,
zumindest für den Moment gestillt, denn es hatte sich damit begnügt, den Barbarenkrieger mit seinem Horn zu
durchbohren und ihm auf diese Weise einen schnellen und
gnädigen Tod zu gewähren, statt in blinder Raserei über
ihn herzufallen, wie über seinen Kameraden vorhin.
Irgendwo in Lancelot musste wohl doch noch ein kleiner
Rest des alten Dulac sein, denn er spürte einen leisen
Hauch von Entsetzen, als er diesen Gedanken dachte. Ein
gnädiger Tod … es gab keinen gnädigen Tod. Es gab nur
den Tod, und sonst nichts. Das Ende eines Lebens, das
völlig sinnlos und willkürlich ausgelöscht wurde. Und es
spielte im Grunde keine Rolle, ob er es hatte tun müssen
oder nicht.
Das Einhorn schnaubte unwillig und begann mit den
Vorderhufen im Schnee zu scharren, und Lancelot verscheuchte den Gedanken und ging mit entschlossenen
Schritten zu dem Tier hin. Er saß auf und beugte sich tief
über den Hals des Einhorns, als das Fabelwesen auf der
Stelle kehrtmachte und fast ansatzlos in einen scharfen
Galopp verfiel, ohne auf die dicht stehenden Bäume, das
Unterholz oder die Äste zu achten, die schwer von Schnee
und Eis waren und zum Teil fast bis zum Boden herunterhingen.

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