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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wem?«
Dulac hob hilflos die Schultern. Natürlich ließ ihn diese
Frage die ganze Zeit nicht in Ruhe – aber wie sollte er sie
beantworten? »Vielleicht haben wir doch noch Freunde.«
Gwinneth lachte hart. »Freunde? Der einzige Freund,
den ich hatte …« Sie sprach nicht weiter, sondern starrte
nur einen Moment lang an Dulac vorbei ins Leere, doch er
wusste auch so, was sie hatte sagen wollen. Diese unausgesprochenen Worte taten besonders weh.
»Verzeih«, sagte Gwinneth noch einmal und in sanfterem, versöhnlichem Ton. »Du kannst es nicht wissen.
Aber ich habe zwei Tage lang gehört, was sie gesprochen
haben – vor allem dann, wenn sie glaubten, dass ich es nicht höre. Sie werden dafür bezahlt, uns hierher zu bringen und auszuliefern. Ich weiß nicht an wen. Doch ich
weiß, dass sie uns hier festhalten werden, bis dieser geheimnisvolle Auftraggeber kommt. Willst du das? Sind
wir so lange geflohen, nur um jetzt wieder Gefangene zu
sein?«
Dulac hätte nicht einmal darauf antworten können, wenn
er es gewollt hätte. Plötzlich überkam ihn ein Gefühl tiefer
Trauer. Vielleicht hatte Gwinneth ja Recht, vielleicht auch
nicht, aber es spielte im Grunde keine Rolle. Was ihn so
schmerzte, was so wehtat wie ein Messer, das sich langsam in sein Herz bohrte, das war die Erkenntnis, was mit
ihnen beiden geschehen war. Trotz allem, was sie in den
letzten Wochen erlebt und erlitten hatten, wurde ihm erst
jetzt in vollem Ausmaß klar, was sie wirklich verloren
hatten. Viel mehr als ein Königreich. Viel mehr als ihre
Heimat und ihre Freunde. Sie hatten das Vertrauen verloren. So wie er, wenn er zu Lancelot wurde, jedes Mal ein
winziges Stückchen mehr von seiner Menschlichkeit einzubüßen schien, so schien Gwinneth nicht mehr in der
Lage zu sein, einem anderen Menschen wirklich zu trauen.
Wie lange, dachte er traurig, würde es noch dauern, bis sie
auch ihm misstraute?
Ohne ein weiteres Wort stand er auf, wandte sich um
und ging mit langsamen Schritten zum Fenster. Lange Zeit
stand er da und starrte nach draußen ohne wirklich etwas
wahrzunehmen – und er konnte sich hinterher nicht mehr
erinnern, was er in dieser Zeit gedacht hatte. Er spürte nur
noch Leere, und als er endlich Gwinneths Schritte hörte,
ihre Nähe spürte und allmählich wieder in die Wirklichkeit
zurückfand, da fragte er sich, ob sie nun, in diesem Augenblick, nicht tatsächlich am Ende ihrer Flucht angelangt
waren, ob dieses winzige, in eine schier unendliche Einöde
aus Eis, Kälte und Feindseligkeit eingebettete Haus irgendwo im Nichts vielleicht der Ort war, von dem aus es
nicht mehr weitergehen würde. Nicht weil ihre Feinde sie
eingeholt hatten, nicht weil sie Verrat oder Heimtücke
fürchten mussten, sondern einfach weil es von hier aus
nichts mehr gab, wohin es sich noch zu fliehen lohnte.
»Irgendetwas kommt«, sagte Gwinneth.
Dulac sah sie kurz an und wandte den Blick dann wieder
nach draußen. Er war nicht sicher, ob er verstand, was sie
meinte. Der Schnee reflektierte das helle Sonnenlicht so
stark, dass es ihm fast die Tränen in die Augen trieb und er
die Spur auf der anderen Seite des Flusses nur als verschwommenen Schemen erkennen konnte. Aber das Fenster ging nach Osten, in die Richtung, in der Camelot lag,
und mit ihm König Artus’ Reich und der Krieg, vor dem
sie geflohen waren. Beides war weit entfernt, unendlich
weit entfernt, und dennoch, vielleicht durch Gwinneths
Worte heraufbeschworen – glaubte er für einen Moment
einen gewaltigen Schatten zu erkennen, der sich auf düsteren Schwingen über den Himmel erhob.
»Wir können nicht hier bleiben, Dulac«, sagte Gwinneth.
Sie lehnte sich gegen seine Schulter, aber zum ersten Mal
schien ihre Berührung keinen Trost zu spenden. Er spürte
nur die Wärme ihres Körpers, jedoch nicht jene andere,
viel intensivere Wärme, die er sonst empfunden hatte,
wenn sie sich nahe waren. »Es ist nicht nur wegen Sean
und seiner Brüder«, fuhr sie fort. »Artus wird uns zweifellos finden. Wir werden den Leuten hier den Tod bringen,
wenn wir sie nicht so schnell wie möglich verlassen.«
»Ich weiß«, sagte Dulac.
»Dann lass uns fortgehen«, drängte Gwinneth. »Wir gehen nach Malagon.«
»Zurück in Richtung Camelot?«, fragte Dulac. Er sah
Gwinneth nicht an, sondern blickte weiter in den Himmel
hinauf. Der Schatten war immer noch da. Er konnte ihn
nicht mehr sehen, aber er war da.
»Artus wird uns dort zuallerletzt vermuten«, sagte

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