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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einfach der Umstand, dass er die silberne Rüstung jetzt
so lange nicht mehr getragen hatte. Möglicherweise wurde
er ja tatsächlich wieder zu dem Menschen, von dem
Gwinneth vorhin noch behauptet hatte, dass er ihr um so
vieles lieber sei als Lancelot. Aber wenn, dann verlor er
offensichtlich nicht nur die körperliche Kraft, die ihm die
Elbenrüstung verliehen hatte, sondern auch seine Entscheidungsfähigkeit.
    Gwinneth und er hatten sich nebeneinander auf dem
schmalen Bett ausgestreckt und auch das Licht gelöscht,
damit nichts verriet, dass sie nicht schliefen, aber Dulac
hatte die Tür einen Spaltbreit offen gelassen; gerade weit
genug, um den Stimmen lauschen zu können, die noch
immer aus dem Erdgeschoss des Hauses zu ihnen heraufdrangen. Er konnte die Worte nicht verstehen, aber er registrierte sehr wohl den Tonfall der Unterhaltung, der
deutlich ernster geworden war, und auch dass Sean und
seine Brüder jetzt nicht mehr annähernd so oft und so laut
lachten wie am Morgen.
    Lange – endlos lange, wie es ihm vorkam – wartete Dulac darauf, dass unten im Haus endlich Ruhe einkehrte und
sich die Iren zum Schlaf zurückzogen. Wie es ihm vorkam, schienen sie aber nicht zum Schluss kommen zu wollen, was Dulac mehr und mehr in Erstaunen versetzte. Den
ganzen Tag über und erst recht während des Abendessens
hatte er dafür gesorgt, dass Seans Bierkrug niemals leer
wurde, und der Ire hatte sich ebenso wie seine Brüder
einmal mehr als kräftiger Zecher erwiesen. Sean hätte
mittlerweile so sternhagelvoll sein müssen, dass er einfach
vom Stuhl fiel.
    Irgendwann kehrte dann aber doch Ruhe unten im Haus
ein. Trotzdem ließ Dulac noch eine geraume Weile verstreichen, ehe er sich vorsichtig erhob, auf Zehenspitzen
zur Tür schlich und lauschte. Er hörte nichts außer dem
leisen Prasseln der Flammen unten im Kamin, dem gelegentlichen Knacken eines Dachbalkens und dem monotonen Heulen des Sturms, der sich an den Holzschindeln
über seinem Kopf brach. Seiner Schätzung nach musste es
beinahe Mitternacht sein, und vermutlich waren Gwinneth
und er jetzt die einzigen im ganzen Haus, die noch wach
waren. Er blieb trotzdem eine geraume Weile reglos und
mit fast angehaltenem Atem stehen und lauschte, bevor er
es endlich wagte, die Tür ganz aufzuziehen und einen
Schritt auf den Gang hinauszutun. Es war vollkommen
finster.
    Vom unteren Ende der Treppe her drang ein blasser rötlicher Lichtschein herauf, der ihnen die Richtung wies, die
sie nehmen mussten; Einzelheiten waren nicht erkennbar.
Es war so still, dass er vollkommen sicher sein konnte,
dort unten war niemand mehr, denn andernfalls hätte er
seine Atemzüge hören müssen.
    Ebenso lautlos wie bisher kehrte er ins Zimmer zurück
und wollte Gwinneth wachrütteln, aber sie richtete sich
auf, als er die Hand nach ihr ausstreckte und erhob sich
mit einer gleichermaßen elegant wie angespannt wirkenden Bewegung. »Ist alles in Ordnung?«
    »Ja«, antwortete Dulac im Flüsterton. »Es dürfte jetzt
keiner mehr wach sein.«
»Gut«, sagte Gwinneth. »Dann los.«
Dulac griff nach den beiden Mänteln, die er neben dem
Bett bereitgelegt hatte, schlüpfte in seinen eigenen und
half dann Gwinneth, das schwere Kleidungsstück überzustreifen. Darunter trug sie immer noch den einfachen Rock
und die weiße Bluse, die sie von der Wirtsfrau erhalten
hatte; Kleider, die nicht annähernd so prachtvoll und
schön waren wie ihre eigenen, für die bevorstehen-1 de
Flucht durch die eiskalte und stürmische Nacht aber deutlich besser geeignet waren. Ihre wenigen übrigen Habseligkeiten hatten sie schon längst zu einem Bündel verschnürt, das Dulac sich an einem Strick über die Schulter
warf, bevor er wieder zur Tür ging und noch einmal auf
den Gang hinauslauschte. Im Haus war es nach wie vor
vollkommen still.
Dicht hintereinander verließen sie das Zimmer und
schlichen die Treppe hinab. Sie war alt wie das gesamte
Gebäude, und etliche der Stufen knarrten, aber Dulac hatte
sich die meisten davon auf dem Weg hinauf gemerkt, sodass unter seinem Fuß nur ein einziges Mal ein verräterischer Laut zu hören war, der seinen Herzschlag für einen
Moment auf die doppelte Schnelligkeit ansteigen ließ.
Mit angehaltenem Atem blieb er stehen und lauschte,
aber niemand schien das Geräusch gehört zu haben.
Dulac warnte Gwinneth mit einer Geste vor der Stufe
und ging dann vorsichtig weiter. Ohne weiteren Zwischenfall erreichten sie das untere

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