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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gwinneth – was vermutlich sogar der Wahrheit entsprach.
Dennoch verspürte Dulac einen neuen und tieferen Stich
im Herzen. Es gab Momente, in denen Logik und Wahrheit vielleicht das Schlimmste waren, was Menschen einander antun konnten. Aber da war auch noch eine andere
Wahrheit, nämlich die, dass Gwinneth Recht hatte: Artus würde sie finden, und wenn sie hier blieben, dann würden all diese Menschen für die Hilfe, die sie ihnen gewährt
hatten, mit dem Leben bezahlen.
»Du hast Sean gehört«, sagte er. »Ich denke nicht, dass
man uns gehen lässt.«
»Heute Nacht«, entschied Gwinneth. »Wir warten, bis es
dunkel geworden ist und alle schlafen, bevor wir aufbrechen. Ich glaube, dass Sean Recht hat. Es zieht ein Sturm
auf. Er wird unsere Spuren verwischen.«
Dulac schwieg lange, endlos scheinende Sekunden. Aber
dann nickte er. »Heute Nacht«, ihn überlief ein eiskaltes
Frösteln, »sobald es dunkel geworden ist.«
    Ihre Geduld wurde auf eine mehr als harte Probe gestellt.
Sowohl Sean und seine Brüder als auch der Wirt und seine
gesamte Familie respektierten Gwinneths offensichtlichen
Wunsch, allein zu sein; allerdings nicht auf Dauer und
eigentlich nicht einmal sehr lange. Es verging vielleicht
eine Stunde, bis der Wirt zurückkam und Gwinneth in
unterwürfigem Ton fragte, was sie zu Mittag zu speisen
begehre und ob sie irgendwelche besonderen Wünsche für
den Abend hätte. Gwinneth beschied ihm zwar, dass sie
wie alle anderen behandelt zu werden bitte, doch nachdem
Dulac gesehen hatte, was er ihr vorhin statt des bestellten
Krugs Wasser und der Scheibe Brot aufgefahren hatte, war
er nicht weiter erstaunt, dass sich der Tisch schon eine
Stunde vor der Mittagszeit unter einem Festmahl zu biegen begann, wie es dieses einfache Gehöft vielleicht seit
Jahren nicht mehr gesehen hatte; möglicherweise überhaupt noch nie.
    Und auch wenn Gwinneth weiter hartnäckig darauf bestand, wie ein ganz normaler Gast behandelt zu werden, so
wurden ihre Proteste doch allmählich leiser und verstummten dann irgendwann ganz. Sie gab sich zwar alle
Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen, aber Dulac entging nicht, wie sehr sie es insgeheim genoss, wieder in die
Rolle der Königin zu schlüpfen, und sei es nur für wenige
Stunden. Und auch ihm selbst erging es nicht viel anders.
Zwar behandelte man ihn nicht annähernd so ehrerbietig
wie Gwinneth, aber dem vermeintlichen Bruder der Königin zollte man doch deutlich mehr Respekt, als er es in all
den Jahren auf Camelot erfahren hatte; selbst bei den Gelegenheiten, wo er in seiner Verkleidung als Ritter Lancelot dort aufgetreten war.
    Da sich das Wetter tatsächlich verschlechterte, ganz wie
Sean vorhergesagt hatte, verließen sie das Gebäude den
ganzen Tag über nicht, sondern verbrachten die Zeit bis
Sonnenuntergang in der behaglichen Wärme der Gaststube. Sean und seine Familie leisteten ihnen in wechselnder
Besetzung Gesellschaft, und das taten auch der Wirt, seine
Frau und eine so große Anzahl von Söhnen, Töchtern und
Enkelkindern, dass Dulac schon bald die Übersicht verlor
und es aufgab, sie zu zählen oder sich gar ihre Gesichter
merken zu wollen. Erst lange nach dem Abendessen – das
das Mittagsmahl noch um etliches übertroffen hatte – gelang es Gwinneth und ihm endlich, sich in ihr Zimmer
oben unter dem Dach des Gebäudes zurückzuziehen.
    Dulac hatte diesem Moment mit gemischten Gefühlen
entgegengefiebert. Seit sie am Morgen nebeneinander am
Fenster gestanden hatten, war ihr Vorhaben kein Thema
mehr zwischen ihnen gewesen, was auch gar nicht möglich gewesen wäre – schließlich hatte man sie nicht einmal
für die Dauer eines Lidzuckens unbeobachtet gelassen.
Nun aber war der Moment der Entscheidung gekommen;
und damit der Augenblick, vor dem er sich den ganzen
Tag über gefürchtet hatte. Tief in sich spürte er noch immer, dass Gwinneths Entscheidung falsch war und dass
alles, was hinter ihnen lag, ja selbst ihre Ankunft auf diesem winzigen Gehöft am Rande der Welt, vielleicht einen
Sinn hatte. Aber es war nur ein vages Gefühl, das er nicht
wirklich in Worte kleiden konnte, und selbst wenn er es
gekonnt hätte – er hatte nicht mehr die Kraft, mit Gwinneth zu streiten.
    Seit sie dieses Gasthaus betreten hatten, war es ihm, als
verwandle er sich mit jeder Minute ein winziges bisschen
mehr in den Dulac zurück, der er einmal gewesen war, vor
zwei Jahren und damit vor einer Ewigkeit. Vielleicht war
es

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