Runenschild
draußen ließ, war nicht annähernd so klar wie die auf der anderen Seite, sodass man im
Grunde nur Schemen sah. Aber das unheimliche Gefühl,
das beim Anblick des Fremden von Dulac Besitz ergriffen
hatte, ließ sich nicht von einer straff gespannten Haut aufhalten und vermutlich nicht einmal von einer Mauer aus
Eisen. Er spürte es noch immer so deutlich, als hätte eine
unsichtbare Hand nach seinem Herzen gegriffen und erschwere ihm das Atmen.
»Wer ist das?«, flüsterte Gwinneth.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Dulac ebenso leise wie
sie. »Aber ich …«
Er sprach nicht weiter, doch Gwinneth nickte. »Ich
auch.« Sie erschauerte sichtbar und in ihren Augen erschien ein Ausdruck, den Dulac seit einigen Tagen nicht
mehr darin gesehen und nicht im Geringsten vermisst hatte: Angst.
Und wenn sie gar keinen Grund hatten, Angst zu haben?, dachte Dulac. Wenn dieses Gefühl, das er für Furcht
hielt, das genaue Gegenteil war, und …?
Er gestattete sich auch diesmal nicht, den Gedanken bis
zu seinem konsequenten Ende weiterzudenken, schon allein deshalb, weil er zu oft erlebt hatte, wie grausam Enttäuschung leichtfertige Vorfreude zerschmettern konnte
und einem mehr Kraft raubte, als einem Hoffnung je geben konnte. Irgendwann in den letzten Monaten, ohne dass
er genau sagen konnte, wann und bei welcher Gelegenheit,
hatte er den Punkt endgültig überschritten, an dem er dem
Schicksal noch traute. Alles Neue und Unbekannte hatte
sich letztendlich als Bedrohung erwiesen, niemals als ihr
Gegenteil.
»Das wäre jetzt vielleicht die Gelegenheit«, murmelte
Gwinneth. Sie sah weiter aus dem Fenster, machte aber
eine Kopfbewegung zur anderen Seite des Raumes, und
natürlich wusste Dulac, was sie meinte. Die Rüstung war
nur wenige Schritte entfernt. Die Iren würden ihm sicher
nicht die Zeit lassen, sie anzulegen, Dulac war dennoch
zuversichtlich, dass es ihm zumindest gelingen würde, den
Runenschild und das im Gegensatz zur Elbenklinge verführerisch offen liegende Ritterschwert zu ergreifen – und
mit diesen beiden Waffen in der Hand fühlte er sich
durchaus imstande, den Söldnern die größte und vermutlich unangenehmste Überraschung ihres Lebens zu bereiten. Dennoch rührte er sich nicht von der Stelle. »Es ist zu
spät.«
Fast zu seiner Überraschung widersprach Gwinneth
nicht. Vielleicht spürte sie genau wie er, dass er Recht
hatte. Was immer geschehen würde, würde auch geschehen, ganz egal was er auch tat oder versuchte. Und vielleicht, dachte Dulac bitter, war das der größte und
schwerwiegendste Unterschied zwischen ihrem jetzigen
und ihrem früheren Leben. So wie er sein Vertrauen in das
Schicksal verloren hatte, hatten sie beide irgendwann, fast
ohne es zu merken, aufgehört über ihr Leben selbst zu
bestimmen. Sie reagierten nur noch. Das taten sie schnell,
konsequent und bis jetzt immerhin erfolgreich genug, um
am Leben zu bleiben, doch sie bestimmten nicht mehr den
Weg, sondern konnten nur noch blindlings seinen Kehren
und Windungen folgen.
Draußen hatte Sean den geheimnisvollen Fremden mittlerweile erreicht und war stehen geblieben. Natürlich
konnten sie nicht hören, was zwischen den beiden gesprochen wurde, aber sowohl Sean als auch sein sonderbarer
Besucher deuteten ein paarmal zum Haus hin, und zumindest die Gesten des Iren wurden immer heftiger. Schließlich schüttelte er eindeutig zornig den Kopf und Dulac
wäre nicht erstaunt gewesen, hätte er den Fremden im
nächsten Moment gepackt oder gar sein Schwert gezogen,
doch weder das eine noch das andere geschah. Vielmehr
schien der Ire plötzlich für eine kurze, aber eindeutig
sichtbare Zeitspanne einfach zu erstarren, dann nickte er,
drehte sich um und begann mit sonderbar schwerfällig
wirkenden Schritten wieder auf das Haus zuzugehen. Der
Fremde blieb noch einen Moment reglos stehen, dann
wandte auch er sich um und ging auf seiner eigenen, gar
nicht vorhandenen Spur zurück.
Und als ob die ganze Situation nicht schon unheimlich
genug wäre, frischte der Wind in diesem Moment auf. Wie
aus dem Nichts hob ein heftiges Schneegestöber an, kein
wirklicher Sturm und schon gar kein Unwetter, aber doch
Schneetreiben, das dicht genug war, den Fremden in seiner
Kleidung, die die Farbe von schmutzigem Eis hatte, binnen weniger Augenblicke ihren Blicken entschwinden zu
lassen. Dulac war nicht einmal mehr sonderlich überrascht, als der Wind ebenso rasch wieder an Kraft verlor
und schließlich ganz
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