Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:

fest. »Ist das alles, was er gesagt hat?«
»Nur dass wir uns beeilen sollen«, bestätigte sein Bruder. »Er hat darauf gedrängt, dass wir noch heute aufbrechen.«
»Heute?« Seans Onkel runzelte die Stirn und legte das
Goldstück mit spitzen Fingern auf den Tisch zurück. »In
einer Stunde geht die Sonne unter und es ist jetzt schon
bitterkalt.«
»Warum ist er nicht hereingekommen?«, mischte sich
Seans jüngster Bruder ein. »Hatte er Angst, wir könnten
zu viele Fragen stellen?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Sean, und wieder fiel
Dulac etwas Sonderbares auf: Für einen winzigen, aber
sichtbaren Moment starrte der Ire die Goldmünzen auf
dem Tisch mit einem Ausdruck vollkommener Verständnislosigkeit an, dann blinzelte er, drehte sich zu seinem
Bruder um und sagte noch einmal, lauter und in hörbar
verändertem Ton: »Ich weiß es nicht. Er hat mir nur
aufgetragen, was zu tun ist, und ist dann wieder
gegangen.« »Dann sollten wir tun, was dir dein geheimnisvoller
Freund aufgetragen hat«, entschied Gwinneth, »und auf
der Stelle losreiten. Wenn wir sofort unsere Sachen zusammenpacken und die Pferde satteln, können wir noch
vor dem Dunkelwerden aufbrechen.«
»Und in die Nacht und möglicherweise in einen Sturm
hineinreiten?« Sean schüttelte heftig den Kopf. »Das ist
Unsinn. Gefährlicher Unsinn. Wir brechen morgen früh
auf, bei Sonnenaufgang. Wenn sich das Wetter hält, sind
wir in zwei Tagen in Tintagel, vielleicht schneller.«
»Aber …«, protestierte Gwinneth.
Sean schnitt ihr mit einer herrischen Geste das Wort ab.
»Mein Entschluss steht fest, basta. Selbst wenn wir in Gefahr wären, sind wir hier allemal sicherer als irgendwo
draußen im Wald, möglicherweise übermüdet, halb erfroren und am Ende unserer Kräfte. Wir werden uns heute
Abend noch einmal gründlich satt essen und dann früh
schlafen gehen. Wer weiß, für wie viele Tage es das letzte
Mal ist. Und damit genug.«
Es war ein Werk von wenigen Augenblicken, ihr bisschen
persönlicher Habe zusammenzupacken. Sowohl Dulac als
auch Gwinneth waren alles andere als begeistert von Seans
Entschluss, den Rat des geheimnisvollen Fremden in den
Wind zu schlagen und erst am nächsten Morgen aufzubrechen – auch wenn er im ersten Moment durchaus vernünftig klang. Zwar blieb der Himmel während der Stunde
Tageslicht, die ihnen noch blieb, klar, und auch der Wind
frischte nicht auf, sodass es sicher nicht zu dem Sturm
kommen würde, den sein Onkel prophezeit hatte. Aber es
wäre dennoch ein sowohl unnötiges als auch unerhörtes
Risiko gewesen, so spät am Abend noch aufzubrechen und
in die Nacht hineinzureiten, statt den anstrengenden Weg,
der vor ihnen lag, am nächsten Morgen frisch, ausgeruht
und mit neuen Kräften zu beginnen.
Wenigstens hätte Dulac so argumentiert, hätte es sich bei
dem sonderbaren Besucher um einen normalen Reisenden
gehandelt – was er aber ganz und gar nicht gewesen war.
Sean hatte sich weiter beharrlich geweigert, über seinen
unheimlichen Gesprächspartner mehr zu verraten, als unbedingt nötig gewesen wäre, doch er wirkte durch die Begegnung mit dem grauen Fremden mindestens ebenso verstört und erschreckt wie alle anderen.
Und was ihn selbst anging … Dulac hätte nicht einmal
wirklich sagen können, ob ihn der bizarre Zwischenfall
tatsächlich erschreckt hatte. Verwirrt, ja. Verunsichert und
verstört, sicher. Aber erschreckt? Dulac konnte das Gefühl
nicht begründen, doch irgendetwas ihn ihm wusste mit
unerschütterlicher Sicherheit, dass dieser seltsame Fremde
gewiss rätselhaft und unheimlich gewesen war, aber nicht
wirklich gefährlich. Und er hatte nach wie vor das völlig
widersinnige Gefühl, tief in sich zu wissen, wer der Mann
mit dem grauen Haar und der eisfarbenen Kleidung war.
Erst lange nach Dunkelwerden schlief er ein und fiel in
einen unruhigen Schlaf.
Kälte weckte ihn. Dulac blinzelte verschlafen und tastete
automatisch mit der rechten Hand neben sich. Aber die
Stelle, an der Gwinneth liegen sollte, war leer. Und erst in
diesem Moment begriff er, warum er so fror: Die Bettdekke war zurückgeschlagen und ein eisiger Wind pfiff durch
das Zimmer. Dulac fuhr mit einem Ruck hoch. Er war
schlagartig hellwach. Sein Herz begann zu klopfen und in
dem Bruchteil eines Augenblickes, den er benötigte, um
sich umzusehen und nach Gwinneth zu suchen, schossen
ihm tausend Schreckensbilder durch den Kopf. Ganz ohne
sein Zutun fuhr seine Hand an die

Weitere Kostenlose Bücher