Runenschild
mehr ertragen hatten, in
Wahrheit jedoch, weil sowohl Gwinneth als auch er spürten, dass irgendetwas geschehen würde. Eine fühlbare
Spannung hatte sich über dem Gehöft ausgebreitet, die
Ahnung von etwas Bevorstehendem, Großem, und es dauerte nicht lange, bis Dulac klar wurde, dass es ganz und
gar nicht nur Gwinneth und ihm so erging. Auch Sean und
vor allem sein Onkel blickten immer wieder nervös aus
dem Fenster und suchten die weiße Einöde draußen aufmerksam mit ihren Blicken ab.
Dabei war das ganz und gar überflüssig, wie Dulac
wusste. Das Gehöft lag zwar eingebettet zwischen einer
Hügelkette und dem dichten Wald auf der anderen Seite
am Flussufer, dennoch war das nächste Hindernis, das
groß genug gewesen wäre, auch nur einem Hund als Versteck zu dienen, eine gute halbe Meile entfernt, und die
dichte und völlig unberührte Schneedecke, die sich über
dem Land ausgebreitet hatte, machte es zudem völlig unmöglich, dass sich irgendwer näherte, ohne schon von
weitem gesehen zu werden.
»Erwartet ihr jemanden?«, fragte Gwinneth spitz, als
Sean das vierte oder fünfte Mal innerhalb kurzer Zeit aufstand und ans Fenster trat.
Der irische Riese drehte sich erst nach einer geraumen
Weile zu ihnen herum und maß erst Gwinneth, dann Dulac, und dann noch einmal Gwinneth mit einem langen
stirnrunzelnden Blick, bevor er ein Nicken andeutete. »Ich
nehme doch an, ihr wisst genauso gut wie ich, auf wen wir
warten, Mylady«, antwortete er schließlich – wobei es
Dulac auch dieses Mal einfach nicht gelingen wollte,
wirklich zu entscheiden, ob er das Wort Mylady ernsthaft
oder spöttisch gemeint hatte.
»Vielleicht hat dein Freund ja im Schnee die Orientierung verloren«, stichelte Gwinneth. »Oder er braucht bei
diesem Wetter länger als erwartet, um nach Camelot zu
reiten und seine Kopfprämie von Artus einzufordern.«
Sean sah ganz so aus, als wolle er wütend werden, aber
dann zuckte er stattdessen mit den Schultern und verzog
die Lippen zu etwas, das mit sehr viel gutem Willen vielleicht sogar als Lächeln durchgehen konnte. »Das wird
sich zeigen.«
Er schien noch mehr sagen zu wollen, beließ es aber
dann bei einem angedeuteten Kopfschütteln und sah stattdessen sehr lange und mit sehr nachdenklichem Gesichtsausdruck zu der Wand neben dem Kamin hin, wo er
Lancelots silberne Rüstung und seine Waffen so auf einem
Stuhl drapiert hatte, dass es fast wie ein müde gewordener
Ritter aussah, der mit kraftlos nach vorne gesunkenem
Kopf im Sitzen eingeschlafen war. »Irgendjemand kommt
…«, murmelte er. Die Worte waren nicht für sie bestimmt,
und wenn sein Gesicht dabei auch ausdruckslos blieb, so
entging Dulac doch nicht der Unterton von Sorge, der in
seiner Stimme mitschwang.
Er tauschte einen überraschten Blick mit Gwinneth. Sean
hatte im Grunde nur das ausgesprochen, was sie beide
schon den ganzen Tag über gespürt hatten, und selbst die
unterschwellige Furcht, die der Ire zu empfinden schien,
entsprach ihren eigenen Gefühlen.
»Du hast Recht«, sagte sein Onkel, der an einem anderen
Fenster stand und in Richtung der Hügelkette blickte, die
sie selbst vor wenigen Tagen überschritten hatten um hierher zu kommen. »Er ist schon fast da.«
Sean fuhr überrascht herum und war mit zwei Schritten
neben seinem Onkel, und auch Dulac wollte aufstehen,
verharrte aber mitten in der Bewegung, als er einen warnenden Blick Patricks auffing, der sich halb von seinem
Stuhl erhoben und die Hand auf den Schwertgriff am Gürtel gelegt hatte. Gwinneths Gesichtsausdruck verdüsterte
sich noch weiter und auch Dulac spürte ein heißes Wallen,
in dem sich Erschrecken und Zorn miteinander mischten.
Vielleicht waren sie doch mehr Gefangene, als er bis jetzt
hatte wahrhaben wollen.
»Du hast Recht«, sagte Sean. Er klang überrascht, verwirrt und ein bisschen beunruhigt. Und nach einem Moment fuhr er mit einem Kopfschütteln und leise und eigentlich nur an sich selbst gewandt fort: »Das verstehe ich
nicht. Ich habe doch gerade noch …«
»Genau wie ich«, sprach sein Onkel für ihn weiter, als
Sean es nicht tat. »Ich habe vor einem Moment noch genau
dorthin gesehen und ich schwöre beim Grab meiner Mutter, dass der Kerl noch nicht da war.« Er schüttelte heftig
den Kopf. »Wenn er sich angeschlichen hat, dann versteht
der Bursche mehr von Tarnung als ein Schneehase im tiefsten Winter.«
Dulac hielt es nicht mehr aus. Ohne auf Patricks warnende Blicke und seine
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