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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nun ganz offen drohende Haltung
zu achten, sprang er auf, eilte zu den beiden Iren hin und
quetschte sich so zwischen ihnen hindurch, dass er einen
Blick aus dem Fenster werfen konnte.
    Im ersten Moment sah er auch jetzt nichts außer einer
weißen Einöde, die keinen Anfang und kein Ende zu haben schien, aber dann entdeckte er doch, was Sean und
seinen Bruder so offensichtlich beunruhigte: Auf halbem
Wege zwischen dem Hügel und dem Fluss, vielleicht eine
Viertelmeile entfernt, bewegte sich eine winzige Gestalt
auf sie zu. Sie war ganz in Grau gekleidet, vielleicht auch
in schmutziges Weiß, genau war das auf die Entfernung
nicht zu bestimmen, und obwohl Dulac aus eigener qualvoller Erfahrung wusste, wie schwer das Gehen auf dem
pulverfeinen, trockenen Schnee war, schien sie geradezu
darüber hinwegzugleiten, fast als berühre sie ihn gar nicht.
Und als die Gestalt näher kam, fiel Dulac noch etwas auf,
und das war geradezu unheimlich: Sie hinterließ keine
Spuren. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken.
»Ist er das?«, fragte er.
    Sean zuckte wortlos mit den Schultern, ohne den Blick
von der unheimlichen Erscheinung abzuwenden. Erst nach
einer Weile, und auch jetzt wieder mehr an sich selbst als
an Dulac gewandt, murmelte er: »Ich weiß es nicht. Auf
diese Entfernung könnte es jeder sein.«
    Oder auch alles, fügte Dulac in Gedanken hinzu und ein
neuerlicher, noch viel kälterer Schauer lief ihm über den
Rücken, als hätte ihn eine eiskalte, unsichtbare Hand berührt. Er hörte, wie auch die anderen näher kamen und
schließlich auch Gwinneth ihren Stuhl zurückschob, um an
das Fenster auf der anderen Seite der Tür zu treten.
    Der sonderbare Fremde kam rasch näher und schließlich,
gerade noch weit genug von dem Gehöft entfernt, dass
man ihn eben nicht genau erkennen konnte, blieb er stehen.
»Was macht er da?«, murmelte Seans Onkel.
    Der Ire hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber was
immer es ist, es gefällt mir nicht.« Er überlegte einen
Moment, dann schien er zu einem Entschluss gekommen
zu sein und wandte sich zu den anderen um.
    »Ich gehe hinaus und rede mit ihm. Ihr anderen bleibt
hier. Wenn es eine Falle ist, dann seid ihr mir für die beiden verantwortlich.« Er machte eine Kopfbewegung in
Dulacs und Gwinneths Richtung ohne sie dabei anzusehen, nahm seinen Mantel vom Stuhl und verließ den
Schankraum. Als er die Tür öffnete, fauchte ein eisiger
Windhauch herein, begleitet von einem Schwall pulvertrockenen Schnees und etwas, das kälter zu sein schien als
die frostklirrende Luft und für einen unendlich kurzen
Moment Dulacs Seele zu berühren schien.
    Aber das war nicht einmal der Grund, aus dem er zum
dritten Mal und noch heftiger erschauerte. So unheimlich
und fremdartig das Gefühl auch sein mochte – er kannte es. Er hatte es schon einmal gespürt, oft sogar, und es war

    … vollkommen unmöglich. Dulac gestattete dem Gedanken nicht einmal, wirklich Gestalt anzunehmen. Was
er gerade für einen kurzen Moment beinahe geglaubt hatte, das war so absurd, dass es einfach nichts anderes sein
konnte als Wunschdenken.
    Er trat wieder dichter ans Fenster heran und sah zu, wie
Sean vornüber gebeugt und mit gesenktem Kopf, wie gegen einen gar nicht vorhandenen Sturm ankämpfend, den
Hof überquerte und sich der Gestalt näherte, die in vielleicht hundert oder hundertundzwanzig Schritten Entfernung stehen geblieben war. Dulac konnte ihr Gesicht noch
immer nicht erkennen, aber er sah zumindest, dass sie tatsächlich ganz in Grau gekleidet war, eine Farbe, die sie
vor dem Hintergrund des Schnees fast unsichtbar werden
ließ und vermutlich eine bessere Tarnung darstellte, als
hätte sich der Fremde in strahlendes Weiß gehüllt. Selbst
sein Haar schien die gleiche Farbe zu haben. Er stand völlig reglos da und sah dem Iren entgegen, der deutlich mehr
Mühe hatte als er selbst vorhin, sich seinen Weg durch den
knietiefen Schnee zu bahnen. Bei jedem Schritt sank er bis
weit über die Waden ein und man konnte sehen, welche
Kraft es ihn kostete, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Dulac trat vom Fenster zurück und gesellte sich zu
Gwinneth, die wie er – und alle anderen auch – gebannt
verfolgte, was sich draußen vor dem Gebäude abspielte.
    Von hier aus war es noch schwerer, Einzelheiten zu erkennen, denn die papierdünn geschabte Tierhaut, mit der
das Fenster ausgefüllt war und die zumindest den Wind
und die schlimmste Kälte

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