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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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starrte das geschlossene Visier vor Lancelots Gesicht für die Dauer eines endlosen Atemzuges
ausdruckslos an, dann drehte er ganz langsam den Kopf
und sah dorthin, wo jetzt der leere Stuhl stand, auf dem er
früher am Abend die Rüstung drapiert hatte, dann für einen etwas kürzeren Moment in Gwinneths Richtung, und
schließlich wieder hoch zu Lancelot.
»Ich werde dir alles erklären, aber nicht jetzt«, kam Lancelot seiner Frage zuvor. »Glaub mir, ich kenne die Pikten.
Sie werden nicht lange brauchen, um sich von ihrem
Schrecken zu erholen und in doppelter oder dreifacher
Anzahl zurückzukommen.« Er stockte einen winzigen
Moment, bevor er weitersprach, und es fiel ihm nicht
leicht. »Ich fürchte, es bleibt keine Zeit, deine Brüder zu
beerdigen. Erweist ihnen die letzte Ehre und dann holt
eure Sachen. Und sagt den guten Leuten hier, dass sie ihren Hof verlassen müssen. Auf der Stelle. Die Pikten würden sie nicht am Leben lassen. Ich hole die Pferde und
warte draußen auf euch.«
    Es war lange nach Mitternacht, als Lancelot endlich wieder zu ihnen stieß. Er hatte die Pferde nicht holen müssen,
denn kaum hatte er das Gebäude verlassen, da war das Tor
des Pferdestalles wie unter einem Fausthieb zerborsten
und das Einhorn war herausgaloppiert, komplett aufgezäumt und gepanzert, und Lancelot war aufgesessen und
hatte die nähere Umgebung des Hofes nach überlebenden
Pikten oder deren Spuren abgesucht. Er hatte zwei weitere
tote Barbarenkrieger gefunden, die sich noch ein gutes
Stück weit geschleppt und dann zum Sterben in den
Schnee gelegt hatten, und zahlreiche Spuren, die aber
nicht in eine gemeinsame Richtung führten, sondern
scheinbar willkürlich überallhin, als wären die Pikten in
blinder Panik in die Nacht gestürmt.
    Vermutlich waren sie es, denn das Auftauchen des Silbernen Ritters musste sie vollkommen überrascht haben –
Lancelot glaubte nicht, dass Morgaine oder Mordred sie
darauf vorbereitet hatten, womit sie es zu tun bekommen
würden. Ganz im Gegenteil. Sein schreckliches Erlebnis,
der Blutrausch, der ihn überkommen hatte, machte ihm
nicht nur jetzt noch Angst, sondern hatte ihm auch endgültig klar gemacht, was Morgaines Plan war: Sie hatte ihre
Elbenkrieger zweifellos aus keinem anderen Grund als
dem losgeschickt, Gwinneth und ihn lebend in ihre Gewalt
zu bekommen, aber die Pikten waren von vornherein zum
Sterben bestimmt gewesen. So wie alle menschlichen
Krieger, die Morgaine jemals gegen ihn ausgesandt hatte,
ihn niemals hatten besiegen sollen. Es war ihr Tod gewesen, der Morgaine am Ende den Sieg bringen sollte, denn
ob sie ihn in ihre Gewalt bekam und damit unter den Einfluss ihrer schwarzen Magie, oder ob seine Seele mit jedem Leben, das er auslöschte, ein winziges Stückchen
weiter zu der dunklen Seite gezogen wurde, das machte
am Ende vermutlich keinen Unterschied.
    Und diese Erkenntnis war auch der Grund, aus dem er
am Ende darauf verzichtet hatte, den Spuren der überlebenden Pikten zu folgen. Auf dem Rücken des Einhornes,
das durch den knietiefen Schnee ebenso sicher und schnell
galoppierte wie über weichen Waldboden oder harten Fels,
wäre es ihm ein Leichtes gewesen, die fliehenden Barbaren einen nach dem anderen aufzuspüren und zu erschlagen, doch während er durch die Kälte und den Schnee ritt,
an die schrecklichen Szenen zurückdachte, die sich vorhin
im Gastraum zugetragen hatten, wurde ihm klar, dass er
für ein Leben bereits mehr als genug Blut vergossen hatte.
    Und so machte er irgendwann kehrt und ritt zu dem kleinen Gehöft zurück. Aber er hatte sich ihm nicht weiter als
bis auf hundert oder hundertfünfzig Schritte genähert; nahe genug, um das Gebäude und alles, was sich davor abspielte, erkennen zu können, ohne jedoch selbst gesehen
zu werden. Er hatte den Ausdruck in Gwinneths Augen
nicht vergessen und er hätte in diesem Moment nicht die
Kraft gehabt, ihr gegenüberzutreten. Und auch nicht Sean.
    Er hatte nicht lange warten müssen. Die beiden überlebenden Iren schienen seine Warnung beherzigt zu haben
und waren schon nach wenigen Augenblicken in Gwinneths Begleitung im Stall verschwunden. Als sie wieder
daraus auftauchten, führten sie nur Gwinneths weiße Stute, Seans riesiges schwarzes Schlachtross und Patricks
kaum weniger muskulöses Pferd mit sich; die Tiere der
erschlagenen Iren und auch das Packpferd hatten sie zurückgelassen. Ohne auch nur noch einen einzigen Blick
zum Hof zurückzuwerfen,

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