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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sie gebreitet, um sie vor dem schneidenden Wind zu
schützen, dessen Kraft nicht einmal der Wald und das
dichte Unterholz ganz zu brechen vermochten.
Das wenige, das von ihrem Gesicht zu sehen war, unterschied sich in der Farbe kaum mehr von dem Schnee, der
durch die Baumwipfel rieselte und ihren Mantel allmählich weiß zu färben begann, und selbst ihr Atem, der in der
eisigen Luft als grauer Nebel zu sehen war, schien zu einer
Wolke winziger Eiskristalle zu gefrieren, kaum dass er
ihre Lippen verlassen hatte. Ihr Gesicht glitzerte, als wäre
es eine Skulptur, die ein begnadeter Künstler aus Eis erschaffen hatte, und hätten sich die Augäpfel hinter den
geschlossenen Lidern nicht dann und wann unruhig bewegt, Lancelot wäre tatsächlich nicht sicher gewesen, ob
noch Leben in ihr war. Aber auch so spürte er, wie weit
die Flamme bereits heruntergebrannt war. Aus dem strahlenden Licht, das sein Leben erhellt und seiner Zukunft
neuen Sinn gegeben hatte, war längst ein im Erlöschen
begriffener Funke geworden und sein Leuchten wurde
schwächer mit jedem Augenblick, den er weiter hier stand
und die wenigen kostbaren Herzschläge, die ihr vielleicht
noch blieben, ungenutzt verstreichen ließ.
Lancelot hätte in diesem Moment den Rest seines Lebens dafür gegeben, noch einmal mit ihr zu reden, sie noch
einmal in die Arme zu schließen, noch ein einziges Mal in
ihre Augen zu blicken. Aber er wagte es nicht, sie zu wekken. Gwinneth würde wissen, was er vorhatte, im gleichen
Moment, in dem sie ihm in die Augen sah, und sie würde
es nicht zulassen. So blieb ihm nur die Wahl, ohne Abschied von ihr zu gehen.
Leise, um kein verräterisches Geräusch zu machen und
sie dadurch vielleicht doch zu wecken, entfernte er sich
zwei Schritte rückwärts gehend von ihr, dann drehte er
sich um und ging zu seinem Einhorn. Diesmal scharrte das
Fabelwesen nicht unruhig mit den Vorderhufen im Schnee
und es ließ auch kein enttäuschtes Schnauben hören, sondern sah ihm nur reglos aus seinen großen, beängstigend
wissend wirkenden Augen entgegen. Es ahnte nicht, was
er vorhatte. Es wusste es. Lancelot sah das Glitzern in seinem Blick, die Vorfreude, die Gier des Raubtiers, das die
Beute noch nicht witterte, aber um ihre Nähe wusste.
Als er nach dem Sattelhorn greifen wollte, hörte er das
Knirschen von Schritten im Schnee hinter sich und hielt
noch einmal inne um sich umzudrehen.
Es war Sean. »Was hast du vor?«, fragte er.
Anstatt direkt zu antworten führte Lancelot die begonnene Bewegung zu Ende und schwang sich mit einer kraftvollen Bewegung in den Sattel. Erst dann deutete er mit
der linken Hand in die Richtung, aus der er gerade gekommen war, und ließ die Geste in einer flatternden Bewegung enden, die ihn, Sean und das ganze improvisierte
Lager einschloss. »Warte, bis ich fort bin. Dann weckst du
Gwinneth und deinen Bruder und ihr folgt meiner Spur in
einigem Abstand.«
Seans Augen wurden groß. »Was hast du vor?«, fragte er
noch einmal. »Du willst doch nicht …«
»Gwinneth hat Recht«, unterbrach ihn Lancelot. »Es gibt
keinen anderen Weg. Wartet, bis ihr Kampflärm hört, und
dann versucht euch irgendwie nach Tintagel durchzuschlagen.«
Er wollte das Einhorn antraben lassen, aber Sean fiel
ihm mit einer raschen Bewegung in die Zügel. »Das ist
Selbstmord!«
»Es ist der einzige Ausweg, der uns bleibt«, erwiderte
Lancelot. »Wir können nicht warten. Gwinneth wird eine
weitere Nacht hier draußen nicht überstehen. Ich sehe keine andere Möglichkeit.«
»Als was?«, fragte Sean scharf. »Als Euch umzubringen?«
Lancelot entging nicht, dass er vom vertrauten du wieder
zur förmlicheren Anrede gewechselt war, wohl um seinen
Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Mir wird nichts geschehen«, behauptete er. Er wollte Seans Hand abstreifen,
doch der Ire hielt das Zaumzeug des Einhorns eisern umklammert.
»Verzeiht, wenn ich anderer Meinung bin, Herr«, sagte
er. »Aber ich fürchte, Ihr überschätzt Euch. Eine Zauberrüstung und ein unbezwingbares Schwert allein …«
»… machen aus einem Jungen noch keinen Helden?«,
fiel ihm Lancelot ins Wort. Sean fuhr erschrocken zusammen und Lancelot ließ bewusst einen Moment verstreichen und zwang sich zu einer Grimasse, die der Ire
zumindest als Lächeln deuten konnte, wenn er es wollte,
bevor er fortfuhr: »Ich weiß das, mein Freund. Ich habe
nicht vor, Morgaines Krieger ganz allein zu erschlagen.
Aber vielleicht kann ich sie

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