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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gekrochen war, dann jedoch, kaum einen Atemzug
später, war dieses unheimliche Flüstern und Locken wieder da; Gier, die noch schlief, sich aber bereits regte wie
ein uraltes Ungeheuer, das nur dann und wann aus seinem
äonenlangen Schlaf erwachte, um Blut zu trinken und Leben zu zerstören. Rasch, bevor das Gefühl überhand nehmen und schon jetzt vollends von ihm Besitz ergreifen
konnte, rammte er das Runenschwert in die Lederscheide
an seinem Gürtel und zog die Hand so hastig zurück, als
hätte er glühendes Eisen berührt.
»Artus wird dir verzeihen«, sagte er noch einmal. »Er
wird dich verstehen und er wird dich wieder bei sich aufnehmen.«
»Lieber sterbe ich!«, begehrte Gwinneth auf.
»Und genau das werde ich nicht zulassen«, antwortete
Lancelot. Sie waren längst an einem Punkt ihres Gespräches angelangt, an dem Worte nur noch schaden und
nichts mehr bewirken konnten. Statt weiterzureden oder
Gwinneth auch nur die Gelegenheit zu einem neuerlichen
Widerspruch – oder einem Lebewohl – zu geben, wandte
er sich mit einem auffordernden Blick an Sean, wartete
gerade lange genug, um in den Augen des Iren zu lesen,
dass dieser verstanden hatte, schlug dann mit einem fast
zornigen Ruck das Visier seines Helmes nieder und ließ
gleichzeitig die Zügel knallen. Das Einhorn sprengte wie
ein von der Sehne geschossener Pfeil los und trug ihn so
schnell wie der Sturmwind zur Hügelkuppe hinauf, darüber hinweg und auf der anderen Seite hinab.
    Der Schnee war rot vom Blut der Erschlagenen und in das
Heulen des Sturmes hatte sich ein Chor aus Schmerz- und
Todesschreien gemischt, der allmählich leiser wurde, aber
dennoch nicht an Intensität abzunehmen schien, sondern
sich im Gegenteil wie die Spitze eines glühenden Dolches
immer tiefer und tiefer in Lancelots Herz grub. Er hatte
längst aufgehört die Männer zu zählen, die sich ihm – am
Anfang siegesgewiss, dann erschrocken und trotzig und
am Schluss mit dem schieren Mut der Verzweiflung – in
den Weg gestellt hatten.
    Die beiden letzten Barbarenkrieger, die versucht hatten,
ihn gleichzeitig und aus zwei verschiedenen Richtungen
anzugreifen, mussten diesen Versuch ebenso mit ihrem
Leben bezahlen wie all die anderen vor ihnen; das Blut des
einen hatte die unersättliche Runenklinge getrunken, den
anderen hatte das Einhorn mit seinem schrecklichen Horn
aufgespießt. Danach hatte der Sturm aufgehört, Gestalten
in schwarzen Lederrüstungen und struppigen Fellmänteln
auszuspeien.
    Vielleicht gerade im letzten Moment. So wenig, wie
Lancelot sagen konnte, wie viele Männer er erschlagen
hatte, konnte er sagen, wie oft er getroffen worden war.
Hundertmal, tausendmal? Es spielte keine Rolle – die magische Rüstung hatte ihn zuverlässig vor jeder Verletzung
geschützt und das Runenschwert hatte jeden Angriff mit
Blut vergolten, sodass die Klinge längst nicht mehr im
reinen Silber Excaliburs schimmerte, sondern in einem
dunklen, nassen Rot wie die vergiftete Zunge einer mythischen Schlange aus Stahl. Aber auch wenn er nicht verwundet war, so war er doch am Ende seiner Kraft.
    Das Schwert in seiner Hand schien Zentner zu wiegen
und jeder Atemzug kostete ihn mehr Mühe als der davor.
In seinem Mund war der Geschmack seines eigenen Blutes, das fast schneller seine Kehle hinabzurinnen versuchte, als er es hinunterschlucken konnte. Und es gab keinen
Muskel in seinem Körper, der nicht schmerzte.
    Vielleicht war es nur noch die lodernde Gier des Runenschwertes, die ihn im Sattel hielt, nicht weil sie ihm Kraft
gab, sondern weil sie einfach nicht zuließ , dass er zusammenbrach, denn es gab noch mehr Opfer in seiner Nähe,
noch mehr Leben, die sie nehmen konnte.
    Lancelot hatte geglaubt zu wissen, was ihn erwartete,
aber das stimmte nicht. Er war in dem Bewusstsein ins
Lager der Pikten gesprengt, diesen selbstmörderischen
Angriff vielleicht nicht zu überleben, doch mittlerweile
betete er insgeheim längst darum, endlich zu sterben, und
sei es nur, um diesem ebenso sinnlosen wie grausamen
Töten ein Ende zu bereiten.
    Gwinneth hatte Recht gehabt. Er hätte diese verfluchte
Waffe niemals wieder ziehen dürfen, ganz gleich was auf
dem Spiel stand. Er war längst nicht mehr ihr Herr, sondern ihr Diener, nur noch der Arm, den sie brauchte um
sie zu führen und über den sie vollkommene und möglicherweise unwiderrufliche Gewalt erlangt hatte. Selbst
jetzt, als er mehr tot als lebendig war, suchte er noch mit
Blicken die

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