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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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brechen.
Aber er tat es nicht.
Es wäre leicht. Eine winzige Bewegung, ein Ruck und
eine Drehung in einem ganz bestimmten Winkel, und das
Rückgrat des Kriegers würde brechen wie ein trockener
Ast. Der Pikte hatte noch vor einer Sekunde versucht ihn
zu töten und er würde es zweifellos gleich jetzt tun, wenn
er ihm auch nur die winzigste Chance dazu ließe – aber er
konnte es nicht. Statt es zu Ende zu bringen und seinen
hilflosen Gegner zu töten, blieb Lancelot für eine winzige
Ewigkeit reglos sitzen, dann zog er den Arm unter dem
Hals des Pikten hervor, richtete sich fast behutsam auf und
trat einen halben Schritt zurück. Der Krieger blieb noch
einen Moment wie erstarrt im Schnee liegen, bevor er sich
mühsam und vor Schmerz wimmernd auf den Rücken
drehte und aus weit aufgerissenen und von blanker Todesangst erfüllten Augen zu Lancelot hochstarrte.
Aber dennoch flehte er nicht um Gnade. »Töte mich!«,
stammelte er. Lancelot hatte Mühe, die Worte zu verstehen. Die Stimme des Kriegers zitterte und war kaum lauter
als ein Flüstern und außerdem hatte er einen schrecklichen
Akzent. »Bring es endlich … zu Ende, Dämon!«
Lancelot rührte sich noch immer nicht. Die Worte des
Pikten trafen ihn wie ein Schlag. Dämon … War es das,
was er für diese Männer war? Und für wie viele andere
noch? Endlos lange starrte er auf den Mann hinab, den er
im Grunde bereits umgebracht hatte; sein gebrochenes
Knie würde mit ein wenig Glück heilen, aber er würde nie
wieder reiten und vermutlich auch nie wieder richtig gehen können, etwas, das für einen Krieger aus einem kämpferischen Volk praktisch einem Todesurteil gleichkam.
Bedachte er zudem Mordreds Grausamkeit, so tat er dem
Mann vermutlich einen Gefallen, wenn er ihn erlöste.
Aber er konnte es nicht.
Lancelots Blick löste sich vom schweißbedeckten Gesicht des Verwundeten und tastete nach links, wo das Runenschwert im Schnee lag. Die Klinge schimmerte wie
makellos poliertes Silber. Nicht ein Tropfen der Ströme
von Blut, die er in den letzten Minuten damit vergossen
hatte, war darauf zu sehen, aber er spürte selbst über die
Entfernung hinweg die Verlockung, die von dem Zauberschwert ausging. Das leise, wortlose Flüstern tief in seinen
Gedanken, die unheimliche Macht, die eine Gier in ihm
wachrief, die ihn erschauern ließ. Was hatte Morgaine zu
ihm gesagt, damals, vor den Toren Camelots, erst wenige
Wochen zuvor, doch scheinbar schon eine Ewigkeit her? Noch ein Menschenleben, das du mit dieser Klinge auslöschst, noch ein Tropfen Blut, mit dem du sie benetzt, und
du gehörst mir.
Nun hatte er mehr als ein Menschenleben ausgelöscht
und mehr als einen Tropfen Blut damit vergossen, und
somit hatte Morgaine gewonnen.
Langsam trat Lancelot zurück, ging zu seinem Schwert
und hob es auf. Der verletzte Barbarenkrieger wandte den
Kopf und folgte jeder seiner Bewegungen aus angstvoll
geweiteten Augen und zugleich versuchte er sich auf Ellbogen und einem Arm in die Höhe zu kämpfen. Seine
Kraft reichte nicht. Er fiel mit einem nur noch halb unterdrückten Schmerzensschrei zurück und begann zu wimmern. Schließlich schloss er die Augen und wartete auf
den Tod.
Lancelot starrte auf das Schwert in seiner Hand hinab.
Die Klinge schrie noch immer nach Blut, denn ihre Gier
war unersättlich, ganz egal wie sehr er auch versuchte sie
zu stillen, und ein neuer, unendlich grausamer Schmerz
begann sich in seiner Brust auszubreiten.
Nicht einmal der Gedanke an Gwinneth, die nun vermutlich hinter den festen Mauern und Toren Tintagels schon
in Sicherheit war, spendete ihm noch Trost. Vielleicht hatte er ihr Leben gerettet – aber um welchen Preis?
Er näherte sich wieder dem Pikten. Der Mann hatte seine
Schritte gehört, hob die Lider und sah ihn an und plötzlich
war jede Angst aus seinem Blick verschwunden. »Worauf
wartest du, Dämon?«, spuckte er ihm entgegen. »Bring es
zu Ende. Oder bereitet es dir solche Freude, mich zu quälen?«
»Ich will dich nicht töten«, bekannte Lancelot.
Obwohl die Gier der Runenklinge wie ein verzehrendes
Feuer in ihm loderte, schob er die Waffe mit einer ruhigen
Bewegung in die weiße Lederscheide an seinem Gürtel
zurück. Dann wandte er sich einem der reiterlosen Pferde
zu, die nur ein paar Schritte davongetrabt und dann stehen
geblieben waren, um das Tier an den Zügeln zu ergreifen
und zurück zu dem Verletzten zu führen. Ohne auf die
fassungslosen Blicke des Pikten zu achten,

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