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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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doch Lancelot hätte sein Gesicht nicht sehen müssen, um
seine Angst zu spüren. Er schien irgendetwas zu sagen,
denn seine Lippen bewegten sich, aber das Heulen des
Sturmes riss seine Worte mit sich fort und Lancelot hätte
auch nicht geantwortet, hätte er sie verstanden.
    Einen Moment lang sah er ausdruckslos auf den Alten
hinab, dann ließ er das Einhorn mit einem leisen Schenkeldruck antraben, und obwohl das Fabelwesen, das von
der gleichen Magie geschützt wurde wie auch er, für diesen erbarmungswürdigen alten Wächter nicht mehr sein
konnte als ein ganz normales, wenn auch beeindruckendes
Schlachtross, schien er doch die Gefahr zu spüren, die von
der Kreatur ausging, denn er trat hastig beiseite und gab
damit den Weg frei. Lancelot trabte langsam an ihm vorbei und durch den Spalt, um den sich das Tor geöffnet
hatte. Der Durchgang war so hoch, dass er nicht einmal
den Kopf einziehen musste, als er unter den Zähnen des
uralten rostigen Pfeilgatters hindurchritt, das hinter dem
Tor lauerte und ein Stück weit herabgelassen war.
    Ein weitläufiger, von zahlreichen Fackeln in unsicheres
flackerndes rotes Licht getauchter Innenhof empfing Lancelot. Nicht weit von ihm entfernt befand sich ein zweiter
Wächter, der mindestens so alt wie der war, der ihn draußen in Empfang genommen hatte und noch schlechter ausgerüstet, denn er trug nur einen schweren ledernen Wams
und anstatt einer wirklichen Waffe einen armlangen
Knüppel, der ganz so aussah, als hätte er sich ihn im Vorbeigehen von einem Stapel Feuerholz genommen. Am
Burgbrunnen standen zwei Frauen mittleren Alters, die in
ihrer für die Witterung viel zu dünnen Kleidung zitterten,
als sie einen Wassereimer hochkurbelten.
    Davon abgesehen erwartete ihn niemand auf dem Hof
und er konnte die Leere, die von dem ganzen gewaltigen
Komplex Besitz ergriffen hatte, beinahe körperlich fühlen.
Tintagel war eine Burg, die es an Größe durchaus mit Camelot aufnehmen konnte, und zweifellos musste sie einmal prachtvoll gewesen sein, aber nun war sie von ihren
Bewohnern so gut wie verlassen und er konnte die Hoffnungslosigkeit fühlen, die sich wie ein unsichtbares, erstickendes Leichentuch über den zinnengekrönten Mauern
und wuchtigen Türmen ausgebreitet hatte.
    Lancelot lenkte das Einhorn noch wenige Schritte weiter, dann ließ er es halten und glitt ungeschickt aus dem
Sattel. Eine der beiden Frauen kam heran und griff nach
den Zügeln des Tieres, zog die Hand aber hastig wieder
zurück, als das Einhorn ihr einen warnenden Blick aus
seinen tückischen dunklen Augen zuwarf, und auch Lancelot schüttelte rasch den Kopf. Das Einhorn hatte ihn
gehorsam und widerspruchslos hier heraufgebracht, aber
er konnte seine wahren Gefühle spüren.
    Die Kreatur und das Schwert an seiner Seite hatten mehr
gemeinsam, als ihm bisher bewusst gewesen war.
Auch der Blutdurst des Einhorns war durch den zurückliegenden Kampf keineswegs gestillt, sondern eher noch
weiter geschürt worden. Und es spürte offensichtlich
Angst, die die Frau zweifellos vor ihm empfand, und wurde dadurch noch unberechenbarer. Es war vermutlich besser, wenn außer ihm niemand das Fabelwesen anrührte –
und darüber hinaus wohl auch gar nicht nötig. Das Einhorn würde wahrscheinlich einfach in den Schatten verschwinden und erst dann wieder auftauchen, wenn er es
brauchte, so wie es dies schon oft genug getan hatte.
Die Frau zog sich mit deutlichen Anzeichen der Erleichterung zurück und Lancelot wollte gerade eine entsprechende Bemerkung machen, als auf der anderen Seite des
Hofes eine Tür aufgestoßen wurde und ein heller Schrei
erklang. Lancelot fuhr erschrocken herum und legte instinktiv die Hand auf den Schwertgriff, aber der Schrei
war kein Zeichen einer Gefahr oder eines neuen Hinterhaltes, sondern das Gegenteil: In dem hellen Kerzenlicht, das
durch das weit offen stehende Portal auf den Hof fiel, erkannte er Gwinneth, die nur in einem dünnen Kleid und
mit wehendem Haar auf ihn zugestürmt kam. Sean und
Patrick, die beiden Iren, folgten ihr dichtauf, doch Gwinneth rannte so schnell, dass es ihnen nicht gelang, wirklich
Schritt mit ihr zu halten. Immer wieder seinen Namen rufend und mit weit ausgebreiteten Armen rannte sie auf ihn
zu und warf sich schließlich mit solchem Ungestüm an
seinen Hals, dass er einen hastigen Schritt nach hinten
machen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren
und zu stürzen.
»Lancelot!«, stammelte sie. »Lancelot! Du

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