Runenschild
beugte er sich
zu ihm hinab, griff unter seine Achseln und half ihm, sich
auf dem unverletzten Bein aufzurichten.
»Was hast du vor?«, murmelte der Pikte verständnislos.
»Ist das eine neue Grausamkeit von dir?«
»Halt den Mund und hilf mir lieber«, keuchte Lancelot.
Der Pikte war schwer, viel schwerer, als er erwartet hatte.
Es kostete ihn seine ganze verbliebene Kraft, den Mann
irgendwie in den Sattel des Pferdes hinaufzuschieben,
nachdem er seinen linken, unverletzten Fuß in den Steigbügel gehoben hatte. Der Barbarenkrieger sank nach vorne
und brach über dem Hals des Pferdes zusammen, aber er
klammerte sich auch instinktiv am Zügel fest, sodass er
nicht auf der anderen Seite wieder aus dem Sattel rutschte,
wie Lancelot im ersten Moment fast befürchtete. Sein
schon halb von Bewusstlosigkeit verschleierter Blick irrte
über Lancelots Gesicht.
»Du treibst ein grausames Spiel mit mir, Dämon, habe
ich Recht?«
»Glaub, was du willst«, antwortete Lancelot grob. »Und
jetzt reite los. Reite nach Tintagel und frage nach Lady
Gwinneth. Wenn du ihr sagst, dass Lancelot dich schickt,
wird man dir Einlass gewähren und sich um deine Wunden kümmern.«
Der Pikte starrte ihn noch einen weiteren Herzschlag
lang vollkommen fassungslos an, aber dann biss er die
Zähne zusammen, richtete sich wieder unter Aufbietung
aller Kräfte halb im Sattel auf und versuchte das Pferd in
die entsprechende Richtung zu drehen. Das Tier setzte
sich nur zögernd und widerwillig in Bewegung und Lancelot konnte nur hoffen, dass der Mann die gute Meile Weges bis nach Tintagel hinauf noch bei Bewusstsein blieb.
Mehr konnte er nicht für ihn tun.
»Das war ja eine herzergreifende Szene, mein junger
Freund«, sagte eine spöttische Stimme hinter ihm.
Lancelot versteifte sich und legte die linke Hand auf den
Schwertgriff, bevor er sich ganz langsam umdrehte. Er
war nicht überrascht.
Der Schneesturm hatte nicht nachgelassen und trotzdem
war da ein vielleicht zehn Schritte messender Kreis vollkommener Windstille, der von einer brodelnden weißen
Wand umgeben war. Morgaine Le Faye, flankiert von
zwei hünenhaften Kriegern in schwarzen, mit gefährlichen
Stacheln besetzten Rüstungen, stand genau im Zentrum
dieses Kreises und blickte aus ihren wunderschönen, gnadenlosen Augen auf ihn herab. Sie lächelte, aber es war
ein Lächeln, dem jede Spur irgendeines echten menschlichen Gefühls fehlte.
Langsam hob sie die Arme, klatschte in die Hände und
fuhr in noch spöttischerem Tonfall fort: »Eine wahrhaft
rührende Szene. Der Jäger, der plötzlich Mitleid mit seiner
Beute hat. Was ist mit dir, mein junger Freund? Glaubst
du dich auf diese Weise freikaufen zu können oder ist diese arme Kreatur deines Zornes nicht wert?« Sie wartete
eine Antwort – die sie sowieso nicht bekommen hätte –
nicht ab, sondern hob fast beiläufig die linke Hand, und
einer der beiden Dunkelelben neben ihr nahm einen Bogen
vom Rücken, legte einen schwarzen Pfeil auf die Sehne
und schoss ihn ab, noch bevor Lancelot wirklich begriff,
was geschah. Die Bewegung, mit der er hastig zur Seite
trat, wäre viel zu spät gekommen.
Aber der Pfeil galt auch nicht ihm. Das tödliche Geschoss zischte meterweit an ihm vorbei, schien für den
Bruchteil eines Herzschlages mit dem Sturm zu verschmelzen und bohrte sich dann mit solcher Gewalt zwischen die Schulterblätter des Pikten, dass der Mann aus
dem Sattel gerissen wurde und kopfüber in den Schnee
fiel.
»Du verdammte …!« Lancelot riss mit einem gellenden
Wutschrei das Schwert aus dem Gürtel und stürzte auf
Morgaine zu.
Ihre beiden Elbenkrieger machten eine Bewegung, um
ihm den Weg zu vertreten, aber Morgaine hob rasch die
Hand und scheuchte sie zurück, und auch Lancelot blieb
nach zwei Schritten wieder stehen, zitternd, keuchend vor
hilflosem Zorn und Anstrengung, und hin- und hergerissen
zwischen dem Bedürfnis, einfach laut loszuschreien und
sein Entsetzen und seinen Schmerz in die Welt hinauszubrüllen, oder sich auf Morgaine zu stürzen und sie fühlen
zu lassen, was der Tod, über den sie so gern sprach und
den sie so freigiebig austeilte, wirklich bedeutete.
Er hätte er es sogar gekonnt. Schon mehr als einmal hatte er gegen diese unheimlichen Schwarzeiben gekämpft
und wusste, wozu sie fähig waren, aber er war sich auch
der unbezwingbaren Stärke seiner Zauberrüstung bewusst
und der Kraft des Schmerzes, der in ihm tobte und immer
lauter danach schrie, sich
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