Runenschild
in Gewalt und Zerstörung Luft
zu verschaffen. Ja, vielleicht hätte er die beiden Dunkelelben überwinden und möglicherweise sogar Morgaine erschlagen können, trotz all ihrer List und Zauberkraft. Was
ihn davon abhielt, es zu tun, war vielleicht einzig die Erkenntnis, dass sie auch dann gewonnen hätte. Dann erst
recht.
Müde ließ er das Schwert sinken und auf Morgaines
wunderschönem Gesicht erschien für einen Moment ein
Ausdruck echter Überraschung und für einen noch kürzeren Moment vielleicht sogar etwas wie widerwillige Anerkennung. »Du überraschst mich immer wieder aufs Neue,
mein Freund«, gestand sie. »Ich wusste, dass du stark bist.
Aber ich wusste nicht wie stark.« Sie wiegte seufzend den
Kopf. »Und trotzdem hast du verloren.«
»So?«, fragte Lancelot müde. Die Raserei war erloschen.
Wo noch vor Augenblicken schier unbezwingbare Gier
nach Blut in ihm gewesen war, fühlte er jetzt nichts anderes als eine große, quälende Leere. Nur einen Herzschlag
zuvor hatte er geglaubt, Morgaine zu hassen wie niemand
anderen auf der Welt, aber das stimmte nicht. Die Leere in
ihm war zu gewaltig, um selbst Platz für ein so überwältigendes Gefühl wie Hass zu lassen.
»Du gehörst jetzt mir.« Morgaine nickte. »Im Grunde
genommen hast du mir immer schon gehört, Lancelot. Du
hättest dir und vor allem deinen Freunden viel Schmerz
und Leid ersparen können, hättest du das gleich eingesehen.«
»Vielleicht«, antwortete Lancelot. »Möglicherweise irrst
du dich auch. Ich sterbe lieber, bevor ich auf deiner Seite
kämpfe.«
Morgaine lächelte und diesmal wirkte es echt. »Aber das
tust du doch schon, mein junger Freund.« Sie seufzte.
»Wehr dich ruhig noch eine Weile, wenn du glaubst, es dir
schuldig zu sein. Aber am Ende wirst du einsehen, welches Volk das deine ist und zu wem du gehörst.«
Und damit verschwand sie. Die Magie, die dem Sturm
bisher Einhalt geboten hatte, erlosch und Lancelot war von
einem Herzschlag auf den anderen wieder von tobender
weißer Kälte umgeben. Einen ganz kurzen Moment lang
glaubte er noch die Umrisse der beiden Elbenkrieger zu
sehen, dann aber waren auch sie verschwunden und Lancelot wandte sich müde ab, um zu dem wartenden Einhorn
hinüberzuwanken.
Mitternacht war vorüber, als er Tintagel erreichte. Der
Sturm heulte noch immer mit ungebrochener Kraft um die
Mauern und Türme der gewaltigen Festung und das
Schneetreiben hatte sogar noch zugenommen. Lancelot
erinnerte sich nicht, wie er den Weg hier heraufgefunden
hatte, und vermutlich war es auch eher das Einhorn gewesen als er selbst.
Er fühlte sich noch immer wie in einem Albtraum gefangen. Sturm und Dunkelheit hüllten ihn ein und die Kälte
war längst durch seine Kleidung gekrochen und ließ nicht
nur jede Bewegung, sondern selbst jeden Atemzug zu einer Qual werden. Er konnte kaum noch richtig sehen und
er fühlte sich in diesem Moment nicht nur so schwach und
hilflos wie ein neugeborenes Kind, er war es auch. Das
Schlimmste aber war die Leere. Sie war nicht von ihm
gewichen, nachdem er in den Sattel gestiegen und davongeritten war, sondern wühlte so grausam und allumfassend
wie zuvor in seiner Brust. Er fühlte … nichts.
Selbst als das Einhorn schließlich langsamer wurde und
das riesige geschlossene Tor Tintagels vor ihm auftauchte,
empfand er weder Erleichterung noch Freude, sondern
starrte durch die Sehschlitze seines Helmes nur teilnahmslos auf die gewaltigen geschlossenen Flügel aus armdikken Eichenbalken. Er hatte es geschafft. Er hatte Tintagel
erreicht. Obwohl er noch vor kaum mehr als einer Stunde
mit dem Leben abgeschlossen gehabt hatte, war er nun
unversehrt und siegreich hier angekommen, aber es bedeutete ihm nichts. Vielleicht hätte er noch Stunden so im
Sattel gesessen, wäre nicht schließlich in einem der beiden
Torflügel eine kaum handgroße Klappe aufgegangen,
durch die ein Paar ebenso misstrauischer wie aufmerksamer Augen zu ihm herauslugten.
Nach einer Weile wurde die Klappe wieder geschlossen
und es vergingen nur wenige Augenblicke, bis Lancelot
das Geräusch eines schweren Riegels hörte, der zurückgeschoben wurde. Dann bewegte sich einer der beiden riesigen Torflügel knarrend nach außen und ein alter Mann in
einem rostigen Kettenhemd, der mit nichts Gefährlicherem
als einem langen Küchenmesser bewaffnet war, trat ihm
entgegen. Sein Gesicht war rot vor Kälte und der Wind
biss ihm in die Augen, sodass er ununterbrochen blinzelte,
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