Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
dir nicht sagen, und bestimmt findest du in unserer Festung kaum eine Handvoll Khorazon, die es wissen. Dir muss klar sein: Das Leben unter Tage ist eine gefährliche Angelegenheit. Goradia ist mehrmals eingestürzt und wieder aufgebaut worden. Viele Zeugnisse unserer Vergangenheit gingen verloren. Die allererste Stadt liegt viel tiefer als diese hier. Es heißt, die Erbauer selbst hätten damals noch mit Hand angelegt und uns die Kunst des Bergbaus beigebracht, bevor sie Runland endgültig verließen.«
Er deutete auf das gegenüberliegende Ende der Prachtstraße, das nun hinter zwei Ständen mit Töpfen, gusseisernen Pfannen und anderen Haushaltsgeräten zu sehen war. »Siehst du das? So gefährlich ist das Leben im Inneren eines Berges.«
Deneb erblickte eine Absperrung aus leuchtend rot angemaltem Holz. Dahinter endete die atemberaubende Schönheit der Halle so unvermittelt, als hätte ein riesiges Beil ihr eine tiefe Wunde versetzt. Der Boden war aufgerissen. Ein gezackter Spalt klaffte mehrere Fuß breit von einer Seite der Halle zur anderen. Deren Decke war jenseits der Absperrung eingestürzt und hatte auch einige der Marmorsäulen umgerissen, die ihr Gewicht getragen hatten. Die prächtigen, ineinander verschlungenen Steinornamente an den Wänden waren zersplittert und ihre Schönheit zerstört. Wenn sich hinter den Trümmerhaufen weitere Gänge befanden, so waren diese entweder ebenfalls eingestürzt oder zumindest nicht begehbar. Eine Gruppe von etwa zwanzig Zwergen war damit beschäftigt, den Schutt abzutragen.
»Alle Geister!«, entfuhr es Deneb leise.
»Die Beben fingen vor etwa zwei Monaten an«, hörte er Gramil neben sich sagen. »Sie nahmen schnell zu, an den verschiedensten Orten von Goradia. Mehrere unserer Wohngebiete und Bergwerksstollen nahmen schweren Schaden. Der Einsturz hier war der bisher Schlimmste. Wir wussten uns nicht mehr zu helfen, also beschloss Rotgar, mit Erlaubnis des Königs die Himmelsträne um Rat zu fragen. Während wir fort waren, hat es wieder zwei Beben gegeben.« Er seufzte, während sein Blick über den verwüsteten Teil der Halle und die in den Trümmern arbeitenden Zwerge schweifte. »Meine Leute haben Angst. Sie wollen nichts von einem Krieg außerhalb der Eisenberge wissen, selbst wenn er damit auch unser eigenes Leben bedroht. Die Welt dort draußen unter freiem Himmel ist uns fremd. Viel wichtiger ist uns, die zerstörten Gebiete in unserer Heimat wieder begehbar zu machen und die Schäden zu beheben. Klar erkennbare Ziele vor den eigenen Augen, die zupackende Hände erreichen können.«
»Das klingt, als wärst du nicht völlig einverstanden mit dem, was deinem Volk wichtig ist«, sagte Deneb ein wenig überrascht. Sein erster Eindruck von Gramil war nicht unbedingt der eines hellen Kopfes gewesen. Aber allein mit ihm offenbarte der junge Zwerg einen wachen Verstand, den er anscheinend nur dann zeigte, wenn ältere Männer wie Rotgar oder Alfaard nicht in der Nähe waren.
»Ich verstehe den Wunsch nach einem schnellen Wiederaufbau«, sagte Gramil. »Früher wäre das alles gewesen, was ich vor Augen gehabt hätte, wie die meisten anderen meines Volkes auch. Aber seitdem mein Herr Rotgar mich in seine Dienste genommen hat, ist mir aufgegangen, dass es eben noch mehr gibt als die Hallen und Stollen meiner Heimat. Eine ganze Welt liegt dort draußen jenseits dieser Berge. Als Sohn des Königs weiß Rotgar einiges über die Länder außerhalb von Goradia. Das hat meine Neugier geweckt. Seitdem sehe ich einige Dinge, die meinem Volk wichtig sind, ein wenig anders.«
»Nun, wenn dich diese Länder so in ihren Bann gezogen haben, dann hast du jetzt ja eine Menge Gelegenheit, dich in ihnen umzusehen«, erklang eine hohe, schneidende Stimme hinter ihnen. »Geh in die Fremde und bleib dort, bis du stirbst, du Verräter an deinem eigenen Volk!«
Gramil stöhnte leise auf. Deneb fuhr herum und blickte in das Gesicht eines alten Zwergs, der ihn aus wässerig glänzenden Augen böse musterte. Sein spitz zulaufender grauer Bart war so lang, dass er bis über den Gürtel seiner Robe reichte, aber der Archivar hätte nicht sagen können, ob diese die einzigen Haare waren, die der Unbekannte noch besaß, denn er hatte eine Kapuze bis tief in die Stirn gezogen. Dennoch war sich Deneb sicher, dass er den verrunzelten Alten nicht zum ersten Mal gesehen hatte.
»Willst du uns nicht vorstellen?«, fragte der Zwerg, immer noch mit beißendem Spott in der Stimme, der nur schlecht
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