Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
hatte.
»Ich werde mich weiter nach Norden durchschlagen, genau wie mein Freund es geplant hatte, so lange, bis die Festung Carn Taar vor mir liegt. Wenn die Serephin ihn dorthin gebracht haben, dann werde ich einen Weg finden, ihn zu retten.«
Er wusste, dass er sich geradezu lächerlich anhören musste, ein älterer Mann mit einem wirren Schopf langer Haare und einem blassen Kindergesicht, der umringt von drei grimmigen Zwergen Dinge sagte, die aus den Mündern von Kriegern wie ihnen bei weitem angebrachter klingen mochten. Aber keiner der Umstehenden lachte. Rotgar trat mit funkensprühendem Blick auf ihn zu und hieb ihm beide Hände auf die Schultern, als wolle er ihn wie einen Pflock in den Boden rammen. Der Archivar verbiss sich ein schmerzhaftes Aufstöhnen.
»Dann kommen wir mit«, entschied Rotgar. »Für uns gibt es hier nichts mehr. Goradia mag uns vergessen haben, aber mein Gedächtnis hat mich nicht im Stich gelassen. Als wir zum ersten Mal Waffen tragen durften, haben wir einen Eid geschworen, unsere Heimat zu verteidigen. Der Grund für das schlimme Wetter und die Erdstöße besitzt ein Gesicht, wie wir in den Stillen Hallen gesehen haben. Wir werden dem Spruch des Orakels folgen und diesen Priester in den Norden begleiten.«
Er zog sein Schwert aus der Scheide und stieß es entschlossen in die Höhe, während er herausfordernd in die Runde blickte und zu einem rauen Schrei anhob. »Niemand soll sagen, es hätte nicht ein einziger Krieger aus dem Volk der Khorazon gegen die Bedrohung für Runland und Goradia gekämpft!«
Trotz ihrer Wut und ihrer Trauer ließen die beiden Begleiter des Königssohns es sich nicht nehmen, laut in den Schrei ihres Anführers mit einzustimmen.
Die Zeit drängte, weshalb sich Rotgar, Gramil und Alfaard beeilten, alles Nötige für eine lange Reise zu packen. Deneb, der nicht viele Habseligkeiten besaß, war im Handumdrehen fertig und schloss sich Gramil an, dessen Aufgabe es war, für Verpflegung zu sorgen. Mit großen Augen lief der kleine Archivar dem Zwerg hinterher, bemüht, soviel von Goradia zu sehen, wie ihm in der kurzen Zeit, die er hier noch verbleiben würde, nur möglich war.
Sie verließen die Gemächer der Königsfamilie und durchquerten ein langgezogenes Areal mit einer breiten, von Öllampen beleuchteten Prachtstraße voller Verkaufsstände. Zahllose kleinere Gänge zweigten von ihr ab, aber auch sie waren warm erhellt. Die Baukunst der Khorazon hatte, wie Deneb staunend feststellte, Goradia so weit über eine Mine oder eine Bergfestung im menschlichen Sinne hinaus erhoben, wie sich ein steinernes Herrenhaus von einer Hütte mit Wänden aus Weidenzweigen und Lehm abhob. Er bezweifelte, dass er in Sol jemals ähnlich beeindruckende Bauten gesehen hatte, selbst verglichen mit den Häusern der Adligen. Gleichzeitig atmete die zwergische Kunst aber auch eine Fremdartigkeit aus, die einem menschlichen Betrachter sofort auffallen musste. Wo die Wände des Tempels oder die Fassaden der Häuser in Sol viele bildliche Darstellungen besaßen, wiesen die Säulen und Wände dieser weitläufigen Halle vor allem eine schier schwindelerregende Vielzahl von ineinander verschlungenen Ornamenten auf. Jeder noch so kleine Platz war mit diesen schwungvollen Ziermustern ausgefüllt, als hätte Goradias Baumeister die Sorge getrieben, nur ja keine freie Fläche übrig zu lassen, die das Auge hätte langweilen können. Dies war bei weitem mehr als nur eine Festung – es war eine Welt im Kleinen.
Um sie herum herrschte reges Treiben, das, wie Deneb glaubte, mit einem Markttag in Sol durchaus mithalten konnte. Zu der großen Anzahl der Bewohner von Goradia kam noch ihre Lautstärke hinzu. Der sich durch die Straßen schiebende Pulk schwätzte, handelte und stritt sich so ohrenbetäubend wie ein Haufen Trunkenbolde in einem Wirtshaus kurz vor der letzten Runde. Deneb hatte sich die Kapuze seiner Robe tief ins Gesicht gezogen. Nach der Entscheidung des Things hatte er keine große Lust, als der Temari erkannt zu werden, der die Grüfte der Zwergenvorväter entweiht hatte. Heute kam ihm seine geringe Größe tatsächlich einmal zupass, denn er stach unter den anderen Zwergen kaum hervor.
»Wie lange hat es gedauert, diese unterirdische Festung zu bauen?«, fragte er, kaum hörbar über den Lärm um sie herum, während sie sich an den Besuchern der Marktstände vorbeidrückten. Gramil zuckte die Schultern, eine Geste, die ihm in dem Gedränge nicht leicht fiel. »Das kann ich
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