Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
offene Meer fuhren.«
»Ich verstehe das nicht«, überlegte Torbin. »Wie sollen wir mit einem Schiff einen Stern erreichen?«
»Ich kann es dir auch nicht verraten«, erwiderte Suvare achselzuckend. »Aber seitdem ich in Eilond war, habe ich gelernt, eine Menge Dinge für möglich zu halten. Also werden wir nach Norden segeln, immer der Krone des Nordens entgegen, und darauf vertrauen, dass die Dunkelelfen uns einen guten Rat gegeben haben.«
»Das ist völlig verrückt.«
»Ay, das ist es.«
Torbin grinste. »Verrückt genug für mich. Ich hab dir bereits gesagt – ich bin dabei.«
Dasselbe bekam Suvare auch von Teras zu hören, aber es überraschte sie, dass Calach und Daniro ebenfalls zustimmten, sie zu begleiten.
»Wo soll ich denn sonst hin?«, brummte der Schiffskoch missmutig. »Soll ich mit den anderen nach Andostaan gehen und gegen Serephin kämpfen? Oder mich alleine bis zur nächsten Hafenstadt durchschlagen, jetzt da Runlands Norden im Aufruhr ist? Mich nach all den Jahren auf der Suvare unter neuen Kameraden zurechtfinden?« Er winkte ab. »Ach was! Mitgehangen, mitgefangen. Ich bleibe, wo auch immer unser Khor uns hinführt.«
»Ich ebenfalls«, stimmte Daniro mit ein. Er legte den Kopf schief und schenkte Suvare ein Lächeln. »Hast du selbst mir nicht vor kurzem verboten, deine Tjalk zu verlassen? Ich gehorche nur deinem Befehl, Khor.«
»Das ehrt dich«, sagte Suvare, »aber diese Reise wird gefährlich werden, und ich kann keinem von euch versprechen, dass wir lebend zurückkehren. Du bist nicht mehr an meinen Befehl gebunden und kannst jederzeit abheuern.«
Daniro schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht vor, abzuheuern. Ich bin dir noch etwas schuldig.«
Suvare versuchte erst gar nicht, ihn von seiner Haltung abzubringen. Der junge Mann mit den dunklen Schatten um seine Augen, die mehr Grauen als die meisten seines Alters gesehen hatten, war fest entschlossen. Ihr blieb daher nur noch, ihre Leute anzuweisen, die Tjalk für ihre Fahrt ins Ungewisse vorzubereiten.
»Aber ihr könnt doch bestimmt nicht vor Sonnenuntergang in See stechen«, meinte Enris zweifelnd. »Es ist ein langer Weg von hier bis zur Bucht, in der das Schiff vor Anker liegt, selbst wenn wir sofort aufbrechen.«
»Ach, kein Problem!« Teras winkte ab. Er stand auf und deutete über das Lagerfeuer am Höhleneingang hinweg zum Strand. »Schau mal da hin! Wir sind nicht faul gewesen, während ihr fort wart.«
Enris erhob sich ebenfalls, um sich anzusehen, was der Bootsmann ihm zeigen wollte. Hinter der Wegsperre aus Strandgut ragte der Mast der Suvare im seichten Wasser der Bucht vor dem trüben Winterhimmel auf.
»Nachdem die Piraten fortgesegelt waren, sind wir hier vor Anker gegangen«, erklärte Daniro. »Wir können also bald in See stechen.«
Erneut fühlte Enris den schmerzhaften Zwiespalt, den der Gedanke an einen schnellen Aufbruch in ihm hervorrief. Die Zeit drängte, und er musste mit den beiden Kaufleuten und den Männern aus dem Regenbogental nach Eilond zurück. Die Krieger der Antara waren bereit, sich auf den Weg nach Carn Taar zu machen, und warteten nur noch auf die Temari, die sich ihnen anschließen wollten. Aber er hatte vor, sich wenigstens ungestört von Neria zu verabschieden, wenn es ihm schon nicht möglich war, sie zu begleiten.
»Lass uns an den Strand gehen«, flüsterte er ihr zu. »Hier ist für den Moment alles gesagt, und wir werden nicht gebraucht.«
Sie nickte stumm und erhob sich. Die beiden schlüpften durch den Höhleneingang und traten ins Freie. Sofort kroch Enris die feuchte Kälte unangenehm in die Knochen. Er fröstelte und zog im Gehen den Kopf ein. Neria dagegen war das winterliche Wetter mehr gewohnt als er und zeigte kaum eine Regung. Nach wenigen Schritten durch den Sand hakte sie sich bei ihm unter. Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, bis sie schließlich durch die Lücke in der Barrikade nahe der Wasserlinie traten.
Die Suvare war in gut dreißig Fuß Entfernung im flachen Wasser auf Grund gesetzt. Dahinter dehnte sich, so weit das Auge blicken konnte, die graue See aus. Auf Enris und Neria wirkte sie unergründlicher und grenzenloser als je zuvor. Beide wussten, dass die ruhig in der anschwellenden Flut liegende Tjalk vor ihnen bald in dieser gewaltigen Weite verschwinden würde. Die hoch am Himmel stehende Sonne war hinter einer Wolkenbank verschwunden. Die Kälte in der Bucht erinnerte Enris an das vorfrühlingshafte Wetter in Felgar vor dem
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