Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
dunkelblauen, wolkenlosen Himmel, der so tief über den flachen Hügeln zu hängen schien, dass seine riesenhafte Ausdehnung Pándaros und Deneb zu kleinen Käfern auf einem Halm schrumpfen ließ. Die Vorstellung, dieses Gebiet bis zu den schemenhaften Bergen in der Ferne durchwandern zu müssen, wog schwer wie Blei.
»Ich kann jetzt schon kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen«, sagte Deneb schließlich, als hätte Pándaros ihrer beider Gedanken laut ausgesprochen. Ein heftiger Husten krümmte ihm den Oberkörper zusammen, wie um seine letzten Worte zu unterstreichen.
»Es wird uns nichts anderes übrig bleiben«, erwiderte sein Freund. »Gehen wir weiter. Je länger wir uns die Strecke ansehen, die wir noch zurückzulegen haben, desto schwerer wird es.«
Der Regen hatte zwar aufgehört, doch das Wetter wollte auch weiterhin nicht zur Jahreszeit passen. Es blieb kalt wie im Spätherbst, und in den nächsten Tagen nahm die Kälte sogar noch zu. Zwar fror es nachts nicht, aber es reichte, um elend zu zittern, wenn man sich nicht bewegte. Pándaros und besonders der immer noch von seiner Erkältung geschwächte Deneb drängten sich um ihre abendlichen Lagerfeuer, um ein wenig Wärme zu finden und wieder zu Kräften zu kommen.
Der unnatürlich heiße Frühling lag kaum zwei Wochen zurück, aber er war in den Gedanken der beiden schon weit fort. Der kalte Wind hatte ihn aus ihren Erinnerungen vertrieben. Bestimmt würde Runland dieses Jahr von schweren Missernten heimgesucht werden. Aber noch viel schlimmer als die Möglichkeit einer Hungersnot war die unbeantwortete Frage, was der Tod der Wächter darüber hinaus mit dieser Welt anstellen mochte. Wie in einer schweigenden Übereinkunft redeten die beiden Priester kein zweites Mal laut über ihre Befürchtungen. Immer wieder betrachteten sie argwöhnisch den grauen Himmel und fragten sich, mit welchen weiteren Überraschungen er wohl aufwarten mochte.
Als sie am fünften Tag ihrer Wanderung nach Norden um die Mittagszeit eine Anhöhe hinaufstiegen, vernahmen sie kurz unterhalb des Kamms das dumpfe Dröhnen einer Vielzahl von Hufen, das sich rasch näherte und an Lautstärke zunahm. Das Geräusch ließ den Boden zu ihren Füßen erzittern. Erschrocken wandte sich Deneb seinem Freund zu. Sein fiebriges Gesicht schimmerte blass. »Was ist das?«
Pándaros sah sich in alle Richtungen um. Sein Arm schoss vor und wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Hügelkamm.
»Es kommt von da«, rief er. Der Satz war kaum über seine Lippen, als er die Wildpferde sah. Es mussten etwa zwanzig Tiere sein. Ihre Körper schienen aus dem wogenden Gras auf der Spitze der Anhöhe herauszuwachsen, Geister, die von der Steppe und dem Wind herbeigerufen worden waren. Mit vorgereckten Köpfen und weit aufgerissenen Augen donnerten sie den flachen Hang hinab, genau auf die beiden Priester zu. Die Anhöhe bebte unter ihren Hufen, als rege sich ein Riese im Schlaf. Mit Gras bewachsene Erdklumpen flogen durch die Luft, wo die Hufe der Tiere auftrafen.
»Die bringen uns um!«, brüllte Deneb. In Panik wirbelte er herum und wollte davonrennen, aber sein Freund packte ihn gerade noch an der Kapuze seiner Robe und hielt ihn so hart fest, dass der Saum einriss.
»Runter! Roll dich zusammen und schütz deinen Kopf mit den Händen!« Pándaros stieß Deneb zu Boden, der sofort gehorchte, und ließ sich neben ihn fallen. Sein Herz hämmerte beinahe ebenso fest gegen seinen Brustkorb wie die Hufe der in ihre Richtung rasenden Pferde. Seine Hände umschlangen seinen Kopf, den er zwischen die Schultern zog. Dann war die Herde über ihnen. Die Welt um Pándaros war zum schwankenden Boden und dem dumpfen Aufschlagen von Hufen dicht neben seinem Kopf zusammengeschrumpft. Mit fest zugekniffenen Augen drückte er sich ins Gras. Er hätte sich in die Sicherheit der Erde hineingegraben, wenn er es vermocht hätte. Um ihn herum trommelten die Füße der Tiere ihren rasenden Takt. Wie aus weiter Ferne hörte er Deneb schreien. Es war ein hoher, hilfloser Ton, als würde ein Windzug über den Rand einer tönernen Flasche fegen. Hufe trafen auf seine Robe, er spürte das ruckartige Reißen an seiner Kleidung und erwartete jeden Augenblick den tödlichen Tritt auf den Kopf.
Dann war die wilde Jagd vorbei, so plötzlich, als wären die Pferde fortgezaubert worden. Er vernahm noch immer die Geräusche der Hufe, aber gegen den nordwestlichen Wind nur schwach und wie aus großer Ferne, bevor wieder alles
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