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Runlandsaga - Die Schicksalsfestung

Runlandsaga - Die Schicksalsfestung

Titel: Runlandsaga - Die Schicksalsfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Gates
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haben eine Menge zu erklären und vorzubereiten. Die Serephin können jeden Moment hier sein!«

34
    Neria nimmt auf dem Thron Platz, und ihr ist, als würde ein gleißender Blitz die Decke des Thronsaals durchbrechen und an ihrem Rückgrat hinab in den schwarzen Stein des riesigen Sitzes unter ihr fahren. Vor Schmerz und Überraschung schlagen ihr die Zähne hart aufeinander, um ein Haar beißt sie sich die Zunge ab. Aufstöhnend schmeckt sie ihr eigenes Blut.
    Von einem Moment auf den anderen fühlt sie ihren Körper mit dem Thron verschmelzen, als wäre er für sie geschaffen und hätte schon immer darauf gewartet, dass sie ihn für sich einfordern würde. Die Bilder an der Wand gewinnen an Leuchtkraft und Tiefe. Nerias Vergangenheit erwacht zum Leben und dreht sich im Kreis um sie herum, ein donnerndes Rad der wechselnden Jahreszeiten, schneller und schneller rasend, bis der Rausch an Farben und Ereignissen zu einem weißen Wirbeln wächst, einer Weite aus blendender Helligkeit um sie herum, in der Vergangenheit und Zukunft zu Bedeutungslosigkeit schrumpfen. In diesem Licht aus Möglichkeiten sieht sie jeden Moment ihres Lebens gleichzeitig in einem einzigen ewigdauernden Augenblick. Was sie bereits zu verstehen glaubte, als sie die Stufen des Throns emporstieg, reift in ihr zur Gewissheit.
    Der Thron in der Mitte der Schicksalsfestung ist immer leer, denn er ist Ihr Geschenk an jene, denen es gelingt, zu Ihr vorzudringen. Carn Wyryn und die Träumende Cyrandith sind eins. Die Festung der Weberin ist zugleich auch ihr Körper, und wer immer sie findet, erwirbt sich das Recht, sein eigenes Schicksal zu weben. Hätte Margon auf dem Thron Platz genommen, um sich wieder in Oláran zu verwandeln, so wäre an der Wand des Thronsaals sein Leben zu sehen gewesen.
    Aber in wen oder was wird sie sich verwandeln? Was für ein Schicksal wird sie für sich selbst weben? Neria stöhnt auf, geschüttelt von dem überwältigenden Schlag der Erkenntnis, welch gefährliche Macht in ihre Hände gelegt wurde. Dieser Ort liegt in den Tiefen des unermesslichen Abyss zwischen dem Reich der Urkräfte und den unzähligen Welten, die durch das Ringen des Roten und des Weißen Drachens ins Leben gerufen werden. In Carn Wyryn werden alle Fäden allen Lebens gewebt. Neria vernimmt den Gesang der Fäden, als die unermessliche Menge an Schicksalen, die an diesem Ort miteinander verknüpft sind, in ihr Bewusstsein sickert. Lauter und immer lauter dröhnt dieses feurige Lied allen Lebens in ihren Ohren. Die Wölfin in ihr, das kluge Kind des Waldes, erkennt die tödliche Gefahr, die von Cyrandiths Thron ausgeht. Wild aufheulend versucht sie, die junge Frau – die sie selbst ist – zu warnen:
    Wenn du alle Schicksale allen Lebens in deinen Geist lässt, wirst du wahnsinnig werden. Kein sterblicher Verstand kann diese riesige Fülle erfassen, ohne zu zerbrechen. Achte nur auf deine eigene Bestimmung – dies ist deine Aufgabe, und nur dafür hat dein Thron an diesem Ort auf dich gewartet.
    Aber was ist es, das ich tun kann? Was muss ich an meinem Schicksal ändern, das mein Volk und Runland retten kann?
    Du wirst es wissen, wenn du genau hinsiehst. Werde zu deiner Bestimmung. Singe, webe, jage die Fäden.
    Mit der stählernen Willenskraft des jagenden Tieres, das nicht aufgibt, bis es seine Beute zur Strecke gebracht hat, richtet Neria ihren Blick auf das blendend weiße Wirbeln vor ihren Augen. Fäden schwimmen aus der leuchtenden Flüssigkeit an die Oberfläche, Muster bilden sich in dem Licht heraus. Neria folgt ihrem Verlauf. Immer lauter singen sie in ihrem Verstand, füllen ihn gänzlich aus. Nun ist sie zur Weberin geworden, sie sitzt in der Mitte des riesigen Spinnennetzes ihres Lebens, und sie träumt ihr Schicksal.
    Enris blickte vom Fenster des Wehrgangs über Carn Taars Haupttor aus zum Festland hinüber. Die Verbindung zwischen dem Felsen, auf der die Festung stand, und dem Rand der Klippen war unterbrochen, denn die Antara hatten die Zugbrücke hochgezogen, nachdem die Seile von ihnen wieder instandgesetzt worden waren.
    Aus deren eisenbeschlagenen Bohlen bestand nun das letzte Hindernis vor den herannahenden Serephin, denn die Kluft zwischen Festland und Klippe würde, wie Enris befürchtete, bestimmt kein Problem für ihre Gegner darstellen.
    Es schneite wieder. Der Nachmittag war weit vorangeschritten, und bald würde die Dämmerung anbrechen. »Eigentlich könnten wir sie auch gleich herein bitten«, murmelte

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