Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
Enris.
Alcarasán, zu dem er gesprochen hatte, sah ebenfalls durch das Fenster. »Selbst ein geringer Moment zusätzlicher Zeit mag den Ausschlag zwischen Sieg und Niederlage geben.«
»Du glaubst es immer noch?«, fragte Enris bitter. »Dass wir es schaffen können?« Er seufzte. »Ich wünschte, ich besäße deine Zuversicht. Aber ich befürchte, dies ist der letzte Tag, den wir erleben werden. Es wird keine Zukunft für uns geben – weder für Themet und Mirka, noch für Neria und mich, auch nicht für alle anderen Wesen in Runland.«
Seine Augen folgten dem beständigen Tanz der Schneeflocken, die lautlos und unerbittlich das Land in ein weites Leichentuch kleideten.
»Hab Hoffnung«, riet ihm eindringlich Jahanila an seiner Seite. Ein tiefer Schmerz lag im Blick der Serephinfrau verborgen, den Enris nicht begriff. »Vertraust du etwa nicht der Frau, die du liebst?«
Bevor Enris ihr antworten konnte, stieß Alcarasán einen leisen Aufschrei aus. »Da kommen sie!«
Die beiden Serephin und der junge Mann drängten sich um das Fenster, so dass sie sehen konnten, was jenseits der Klippe vor sich ging.
Aus dem Schneetreiben über der Hochebene schälte sich allmählich eine Schar von schattenhaften Umrissen heraus, die im Näherkommen schnell Gestalt annahmen.
»Befindet sich noch jemand im Lager der Dunkelelfen?«, fragte Alcarasán.
Enris schüttelte den Kopf. »Die beiden Kaufleute und die Kinder sind alle in der Schwarzen Nadel. Wenn die Serephin die Festung überrennen, ist das unser letzter Rückzugsort.«
»Was ist mit dem Priester?«
»Pándaros haben wir ebenfalls in die Nadel geschafft. Es geht ihm immer noch sehr schlecht. Ich befürchte, er wird uns keine große Hilfe sein.«
»Hab Hoffnung«, wiederholte Jahanila. »Noch sind wir am Leben, oder etwa nicht? Genau das bedeutet Hoffnung. Wenn ich etwas über euch Temari herausgefunden habe, dann, dass man euch niemals unterschätzen sollte. Besonders, wenn ihr mit dem Rücken zur Wand steht. Dies hast gerade du mich in Mehanúr gelehrt.«
»Auf jeden Fall müsste Pándaros so nahe wie möglich an Manari herangelangen«, sagte Alcarasán.
Enris stieß einen Schrei aus. »Da! Sie verwandeln sich!«
Die Serephin am Rand der Klippe veränderten ihre Form. Sie nahmen die Gestalt von Drachen an. Die ersten stiegen bereits in dem stetig dichter werdenden Schneetreiben in die Luft und kreisten über ihren Kameraden, die sich noch in Echsenform befanden.
»Wenn sie von ihrem langen Flug von den Toolmooren so erschöpft sind wie ich«, rief Alcarasán, »dann halten die Dunkelelfen und die Voron vielleicht etwas länger durch. Aber wir könnten langsam wirklich Hilfe von Neria gebrauchen.«
»Warum steht uns der Wächter der Erde nicht bei?«, fragte Enris erregt. »Wenn er sich tatsächlich im Tindargestein der Nadel verbirgt, warum taucht er nicht endlich auf und kämpft an unserer Seite?«
»Ich kann es dir nicht sagen«, gab Alcarasán zurück. »Aber du hast jetzt auch keine Zeit mehr, darüber nachzugrübeln. Renn zur Schwarzen Nadel, so schnell du nur kannst! Die Serephin werden jeden Moment die Festung stürmen.«
Enris wandte sich zum Gehen, hielt aber noch kurz inne und sah über die Schulter zu den beiden Serephin zurück. »Viel Glück«, sagte er leise. Jahanila nickte ihm zu, während Alcarasán bereits wieder die Angreifer beobachtete.
Er hatte kaum den Innenhof erreicht, als die ersten Serephin in Drachenform die Mauern der Festung überflogen. Ihre leuchtend gelben Körper schossen aus dem Schneetreiben heraus. Fauchend und brüllend stießen sie auf die Antara nieder, die sofort von allen Seiten herbeiströmten. Im Zickzack rannte Enris an ihnen vorbei, bemüht, nicht mit ihnen zusammenzustoßen. Über sich vernahm er das Brüllen der Drachen. Ein Feuerstrahl schoss dicht vor ihm herab und traf einen der Antara, dessen Haut und Rüstung sofort Feuer fingen. Enris beachtete die Schmerzen in seiner Hüfte nicht, sprang auf den schreienden Elfen zu und warf ihn zu Boden. Er wälzte den Krieger über den schneebedeckten Boden, um die Flammen zu ersticken. Mit einem dumpfen Schlag setzte genau vor ihnen einer der Drachen auf. Faustgroße goldene Augen starrten böse auf ihn herab, der Rachen öffnete sich weit, um einen weiteren Feuerstrahl zu spucken. Doch die Flammensäule verfehlte ihr Ziel. Ein gewaltiger knurrender Schatten sprang durch das Schneegestöber und riss dem Drachen die Flanke auf. Brüllend warf er den Kopf in den
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