Runlandsaga - Feuer im Norden
Anwesenden richteten sich auf ihn. Sogar Themet, der neben Mirka stand und die ganze Zeit kaum seine Augen von dem Holzstoß lassen konnte, sah ihn an.
»Wir haben uns hier versammelt, um zwei Bürgern von Andostaan die letzte Ehre zu erweisen. Im Leben hießen sie Arvid und Rena, und ihnen gehörte das Wirtshaus Schwarzer Anker. «
Während eine Windböe ihm seine schütteren Haare in die Stirn blies, senkte er den Kopf und schüttelte ihn langsam, als verneine er eine Frage. »Ich kann leider nicht viel über die beiden sagen, denn ich gehörte weder zu ihrer Familie, noch war ich einer ihrer Freunde. Ich traf Arvid und Rena zwar hin und wieder bei unseren Ratsversammlungen, aber ich kannte sie nicht wirklich. Eines weiß ich jedoch mit Gewissheit: Das Wohlergehen ihres Sohnes lag ihnen am Herzen. Sie brachten ihn an Bord der Suvare und damit in Sicherheit. Ich sah, wie Arvid sein Leben gab, um diesen jungen Mann namens Enris zu retten, als wir aus dem Hafen flüchteten. Die Hohe Cyrandith allein mag wissen, aus welchem Grund sie gestern Nacht den Tod in das Netz ihrer beider Leben knüpfte.«
Er warf die Hände mit den Handflächen nach außen in die Höhe, eine Geste, als würde er einen breiten Gegenstand über seinen Kopf heben, den nur er sehen konnte. Einige der Anwesenden, darunter auch Arcad, hoben ebenfalls ihre Hände.
»Träumende, wir bitten dich, sorge dafür, dass dein Gefährte, der Dunkle König, Arvid und Rena jenseits der Grenzen dieses Meeres im Sommerland bei sich aufnimmt, bis sie eines Tages erneut ein Teil deines Traums von dieser Welt werden. Mach, dass sie sich wiederfinden, wenn es ihrer beider Wille ist. Und lasse dein Auge auf jenen ruhen, die sie zurücklassen. Lindere den Schmerz des Verlustes, den sie erleiden, und erfülle sie mit der Gewissheit, dass du und dein Gefährte auf sie achten, wo auch immer sie nun sein mögen. Gewähre uns diesen Wunsch, Hohe Cyrandith. So soll es sein!«
»Gewähre uns diesen Wunsch, Hohe Cyrandith. So soll es sein!«, wiederholten alle, die um den Scheiterhaufen standen, die alte Formel, die in Runland Gebete an die Träumende beendete. Ein Schwarm Möwen flog über sie hinweg und schien ihnen laut kreischend zu antworten. Aus den Mündern der Seeleute erklangen die Worte rau und eher gemurmelt, aus Arcads und Suvares Mund laut und klar, fast mehr ein Befehl als ein Wunsch. Doch alle hatten gemeinsam gesprochen. Selbst Themet hatte seine Lippen bewegt.
Über Enris‘ Rücken lief ein Schauer. Für einen Moment sah er sich selbst und alle anderen außerhalb seines Körpers wie ein vorbeistreifender Beobachter, der zufällig über diese bunt zusammengewürfelte Gesellschaft am Strand gestolpert war und sie nun beim Vollziehen dieses Totenrituals betrachtete. Der Gedanke durchfuhr ihn wie ein Blitz, dass, was auch immer Cyrandith mit ihnen vorhaben mochte, es vielleicht notwendig und wichtig gewesen war, Arvid und Rena hier an den Weißen Klippen die letzte Ehre zu erweisen. Es trug dazu bei, sie alle zusammenzuschweißen, die abergläubischen Seeleute wie die Flüchtlinge. Wer konnte sagen, ob dieses Gefühl von Gemeinschaft nicht bitter nötig sein würde in den Tagen, die noch vor ihnen lagen?
Tolvanes Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen. »Themet, als einziger anwesender Verwandter wäre es eigentlich deine Pflicht, den Scheiterhaufen zu entzünden.« Der alte Mann blickte den Jungen ernst an. Auch die übrigen Anwesenden musterten Themet, der den Blick des Ratsherrn unruhig erwiderte.
»Ich habe noch nicht erlebt, dass jemand in deinem Alter diese Aufgabe übernehmen musste, und ich möchte dir diese Bürde nicht aufzwingen. Deshalb frage ich dich, ob du den Holzstoß entzünden willst. Bestimmt würde es dir niemand hier verdenken, wenn du ablehntest.«
»Ich will«, sagte Themet mit fester Stimme.
Seine Antwort verfehlte nicht ihre Wirkung. Tolvane starrte ihn so überrascht an, als hätte er diese Erwiderung nicht erwartet. Calach und Daniro steckten die Köpfe zusammen und murmelten sich leise etwas mit anerkennenden Blicken auf das Kind zu. Enris konnte nicht umhin, Themets Gefasstheit zu bewundern.
»Dann nimm die Fackel«, forderte Tolvane den Jungen auf. Suvare hielt sie ihm entgegen; Themet ergriff sie.
»Willst du dich mit deinen eigenen Worten von deinen Eltern verabschieden?«, fragte der Ratsherr.
Themet schüttelte den Kopf. Noch bevor Tolvane etwas erwidern konnte, hob er seinen Arm und stieß die Fackel auf den
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