Runlandsaga - Feuer im Norden
Wie ein kleines Kind, dessen Mutter in den Wald auf die Jagd ging, und das nicht alleine bleiben wollte. Ein Teil von ihr verachtete sich dafür, einem anderen und sehr alten Teil war es egal, wenn die Antwort auf ihre Bitte nur ›ja‹ lautete. Diesmal kam er zu seinem Recht. Sie stellte ihre Frage. »Willst du wirklich nicht weiter mit mir mitkommen? Du bist eine Hexe. Dort, wo ich hingehe, wird es bestimmt gefährlich. Ich könnte die Hilfe einer Frau, die um die Verborgenen Dinge weiß, gut gebrauchen.«
Anstelle einer Antwort trat die Alte zu ihr und schlang ihre Arme um sie. Die junge Frau tat es ihr zögernd nach. Sie standen lange so auf dem Kamm der Anhöhe, aufmerksam beobachtet von Larnys, der selbst völlig reglos auf einem Ast direkt über ihnen saß und auf sie herabstarrte. Neria stieg Sarns eigentümlicher Geruch in die Nase, der auch in ihrer Hütte vorgeherrscht hatte, eine Mischung aus bitteren Kräutern, Alkohol und altem Fett. Eigentlich war es kein wirklich angenehmer Geruch, aber Neria vermisste ihn jetzt schon. Sie wusste, dass es eine Umarmung des Abschieds war. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie schluckte, um sie zu vertreiben.
»Du musst ohne mich weitergehen«, murmelte Sarn schließlich, als sie sich beide wie auf ein unsichtbares Zeichen hin aus ihrer Umarmung lösten. »Ich habe Cyrandiths Schicksalsnetz in den Knochen gesehen, aber mich konnte ich nicht auf der weiteren Reise erkennen, die du unternimmst. Mein Platz ist hier im Roten Wald. Der Weiße Wolf gibt auf sein Volk acht, aber die Voron sind nicht das einzige Lebendige in dieser Gegend. Jemand muss die beschützen, die keine Stimme haben, mit der sie um Hilfe bitten können, so wie du.«
Neria wischte sich mit ihrer Handfläche eine Träne von der Wange, die sie trotz aller Mühe nicht hatte unterdrücken können. »Dann pass auf den Wald auf, alte Frau«, murmelte sie dumpf. »Das meine ich ernst. Damit hier kein Unheil geschieht. Du hast gesagt, ich hätte nie etwas anderes gekannt, und du hast Recht. Ich könnte es nicht aushalten, hierher zurückzukommen und meinen Wald so verwüstet zu sehen wie die Welt aus der Vision des Wächters.«
Sarn fuhr verächtlich mit ihrer Hand durch die Luft. »Kleine, komm erst einmal in mein Alter, dann weißt du, was du tatsächlich alles aushalten kannst!« Ein Lächeln stahl sich über ihr bewölktes Gesicht. »Bei der Träumenden, das hätte ich jetzt fast vergessen.« Sie griff an ein braunes Lederband, das um ihren Hals lag, und zog unter ihrer Felljacke einen Anhänger hervor. Nachdem sie das Band aufgeknotet hatte, hielt sie ihn der jungen Frau entgegen. »Ich hab hier etwas für dich.«
Neria nahm den Anhänger und betrachtete ihn. Es war ein längliches Knochenstück, das an seinem oberen Ende mit einem Loch versehen worden war, sodass man es um den Hals tragen konnte. Der Knochen fühlte sich zwar glatt, aber ansonsten unbehandelt an. Seine ursprünglich weiße Farbe hatte einen fettigen, gelblich glänzenden Ton angenommen, der vermuten ließ, dass dieser Anhänger lange direkt auf der Haut seiner Besitzerin getragen worden war. Wellenförmig hineingeritzte Muster liefen an ihm entlang und machten ihn zu einem kunstvoll bearbeiteten Schmuckstück.
Während Neria ihn noch ansah, stellten sich ihr plötzlich die Nackenhaare auf. Ihr Blick wanderte von ihrer Hand, die den Knochen hielt, zu der Hand der Hexe, jener rechten Hand, deren kleiner Finger fehlte.
Sarn hatte bemerkt, wohin die junge Frau sah. »Ay, Kleine, der Anhänger ist ein Teil von mir.«
»Wie ist es passiert, dass du den Finger verloren hast?«
»Ich habe ihn mir abgeschnitten«, meinte Sarn trocken. »Schon vor vielen Jahren. Starr mich nicht so entsetzt an, sonst drückt es dir noch deine Augäpfel aus dem Kopf!«
Neria blinzelte verwirrt. Es sah aus, als wollte sie unwillkürlich vermeiden, dass Sarns scherzhafte Warnung eintraf. »Warum in aller Welt hast du dich verstümmelt?«
»Weil ich jung war, und mindestens so starrköpfig wie du. Die Hexe, von der ich lernte, war um mich besorgt, denn ich besaß großen Ehrgeiz. Wenn ich auf meinem Weg Wissen erlangen wollte, dann stürzte ich mich ohne Rücksicht auf meinen Körper und meinen Geist in jede Gefahr. Deshalb gab mir meine Lehrerin eine Aufgabe. Ich sollte ein Amulett schaffen, das die Vergänglichkeit des Lebens darstellen sollte, um es immer bei mir zu tragen, damit es mich daran erinnern würde, was am Ende all unseres Strebens auf uns
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