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Runlandsaga - Feuer im Norden

Runlandsaga - Feuer im Norden

Titel: Runlandsaga - Feuer im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Gates
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ist, als hätte ich ihren Beutegeruch in der Nase.«
    Sarn erwiderte eine Weile nichts. »Was wir gestern erlebt haben, war mehr als ein gewöhnlicher Sturm«, meinte sie schließlich. »Das hast du in deinem Traum schon richtig gesehen.«
    »Aber was war es nun?«, fragte Neria. »Du wolltest gestern nicht darüber reden, sondern erst noch die Knochen befragen. Was haben sie dir erzählt?«
    »Nichts, was ich nicht schon gewusst hätte.« Die Stimme klang unwirsch, aber Neria hörte deutlich die Besorgnis der Alten heraus.
    »Als ich sie auswarf, sagte mir ihr Muster dasselbe, was dir auch euer Wächter mitgeteilt hat: Diese Welt ist in großer Gefahr. Als der Sturm über den Wald fuhr, fiel es mir zuerst nicht auf. Erst jetzt, da er vorbei ist, kann ich einen Finger darauf legen.«
    Sarn drehte sich zu der Voronfrau um, die sie aufmerksam ansah.
    »Entsetzliche Dinge sind gestern geschehen. Dinge, die niemals hätten passieren dürfen. Dieser Drache aus deinem Traum ... ich glaube, dass er tatsächlich umgekommen ist.«
    »Was meinst du damit?«
    »Etwas ist aus Runland verschwunden, Kleine. Etwas Kostbares, das ein Teil dieser Welt war, das immer hierher gehört hat, so wie die Berge, der Wald und das Meer.«
    »Ich verstehe nicht ...«
    Sarn schüttelte den Kopf und hob in einer hilflosen Geste die Hände. »Ich verstehe es ja selbst nicht! Ich fühle nur, dass etwas fehlt, das niemals wieder zurückgebracht werden kann. Niemals wieder. Jeder, der um die Verborgenen Dinge weiß, ist in der Lage, einen Teil des riesigen Netzes zu sehen, das die Schicksalsherrin in ihrem Traum gewoben hat. Nicht jeder nimmt es auf dieselbe Weise wahr. Der eine in seinen Träumen, ein anderer dadurch, dass er die acht Großen Feste abhält und dem Lauf des Rades durch die Jahreszeiten folgt. Die Priester in den Tempeln des Südens erkennen Cyrandiths Netz in den Riten des Sommerkönigs, die sie in ihren steinernen Hallen abhalten. Ich sehe es im Flug der Vögel, die über meinem Teil des Waldes hinwegziehen, und in den Knochen, die ich werfe. Wenn der Regen von den Blättern der Bäume herabtropft, höre ich darin den Klang des Gewebes, das diese Welt zusammenhält. Aber nun hat dieses Netz einen Riss bekommen.«
    Sie hielt inne. Ihr Blick hatte einen gequälten Ausdruck bekommen, den Neria bisher noch nicht an ihr gesehen hatte, nicht einmal in dem Ganggrab des Gorrandhas. Er passte so gar nicht zu dem selbstsicheren und zupackenden Wesen der alten Frau. Neria beunruhigte dieser Blick mehr als alles andere, was Sarn bisher angedeutet hatte.
    »Du kannst mir glauben«, fuhr die Hexe fort, »wenn ich dir sage: Ich kann spüren, dass diese Welt gestern Nacht einen großen Schaden genommen hat. Für mich ist dieses Gefühl wie ein lauter Misston in meinem Ohr, der meine Überlegungen stört. Zuerst fiel er mir kaum auf, aber inzwischen ist es unmöglich, nicht ständig an ihn zu denken. Wer weiß, wie sich dieser Schaden noch weiter auf Runland auswirken wird.«
    Neria schluckte. Ein kalter Wind wehte aus westlicher Richtung über die Anhöhe. Er brachte die Kiefernzweige zum Rauschen und ließ die junge Frau trotz des frühlingshaft warmen Wetters frösteln.
    Sarn ging an ihr vorbei und schritt gebückt unter einigen niedrig hängenden Ästen in eine Lichtung hinein, die den Kamm des Hangs bildete. Sie bedeutete Neria, ihr zu folgen. »Siehst du den Bach dort unten?« Der ausgestreckte Arm der alten Frau wies auf ein schmales dunkles Band, das kaum sichtbar hinter weiterem Nadelgehölz in der Senke vor ihnen in der gleichen westlichen Richtung wie die Anhöhe verlief. Neria nickte stumm.
    »Wenn du ihn überquerst und weiter nach Westen gehst, dann hast du in ein paar Tagen die Grenze des Waldes erreicht. Ich werde hier wieder umkehren. Wenn ich mich unterwegs nicht zu lange aufhalte, dann erreiche ich heute Nacht wieder meine Hütte.«
    Neria hatte den Tag über die leise Hoffnung gehegt, dass Sarn doch mit ihr mitkommen würde, und sei es nur einen Teil des Weges, bis zum Rand der nördlichen Hochebene. Nach all ihren gemeinsamen Erlebnissen und der Gastfreundschaft, die ihr von der Hexe erwiesen worden war, musste sie alleine weiter. Sie ertappte sich dabei, sich einzugestehen, dass sie die alte Frau mochte. Eine Menschenfrau! Wie, bei allen Geistern, hatte Sarn es in nur ein paar Tagen geschafft, sich in ihr Herz zu schleichen?
    »Willst du ...«, begann sie, und hielt inne, als sie bemerkte, wie bittend sich ihre Stimme anhörte.

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