Runlandsaga - Feuer im Norden
von dem aus er die beiden Frauen unter sich beobachtete. Als Nerias Kleid beinahe zwischen weiteren Eichenstämmen verschwunden war, erhob er sich blitzschnell, um die Hexe und die Voronfrau zu überholen und in einiger Entfernung auf sie zu warten.
In dieser Weise hatte er sie schon seit ihrem Aufbruch begleitet, ein treuer Schatten mit Flügeln. Anfangs war er Neria noch aufgefallen, aber nach einigen Stunden der Wanderung bemerkte sie kaum noch, wie er dicht über ihren Köpfen an ihnen vorbeiflog. Sie war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Ihre Gedanken kreisten noch immer um die Ereignisse kurz vor ihrem Aufbruch von Sarns Hütte und das Angebot der Hexe, sie einen Tagesmarsch lang bis an die nördliche Grenze des ihr bekannten Waldgebiets zu begleiten.
Am Nachmittag zuvor hatte Sarn sie alleine gelassen, um Bärlauch pflücken zu gehen. Neria war aufgrund ihres Kampfes mit dem Gorrandha noch immer so erschöpft gewesen, dass sie die Gelegenheit wahrgenommen hatte, sich für einige Stunden auszuruhen, um Kräfte für die bevorstehende Wanderung zu sammeln. Doch in ihrem Schlaf hatte alles andere als Erholung auf sie gewartet. Wie aus heiterem Himmel war ein heftiger Sturm über dem Wald aufgezogen. Neria hatte schon befürchtet, das Dach der Hütte würde abgedeckt werden, oder einer der umstehenden Bäume würde umkippen und die Behausung der Hexe einreißen. Glücklicherweise war es nicht so weit gekommen. Das Unwetter war so plötzlich wieder abgezogen, wie es zu toben begonnen hatte. Dennoch hatte es keinen unerheblichen Schaden angerichtet. Immer wieder mussten die beiden Frauen auf ihrem Pfad über frisch umgestürzte Baumstämme steigen.
»Mir gehen die Bilder aus meinem Traum nicht aus dem Kopf«, murmelte Neria in die Stille hinein, ohne stehen zu bleiben. Die alte Frau vor ihr hielt ebenfalls nicht an, ließ aber ein Brummen vernehmen, das wohl bedeutete, dass sie zuhörte. »Die letzten Momente, kurz bevor du es zurück in die Hütte geschafft hattest und ich aufwachte.«
Sie vermied es, zu erwähnen, wie entsetzlich die Hexe ausgesehen hatte. Die blutverschmierte, bleiche Gestalt, die zur Tür hereingestolpert war, hatte an einen Fleisch gewordenen Dämon erinnert. Sie unterschlug ebenfalls, wie sich Sarn sofort eine tönerne Flasche mit Flirin gegriffen und in einem Zug um ein gutes Drittel geleert hatte. »Um sich wieder zu beruhigen«, wie sie es genannt hatte.
»Du hast mir ebenfalls ganz schön Angst gemacht«, gab Sarn zurück. »Obwohl du aufrecht gesessen hast, dachte ich kurz, dein Geist hätte deinen Körper verlassen.«
»Ich weiß nicht, vielleicht ist auch genau das passiert«, erzählte Neria nachdenklich. »Ich hatte von Talháras geträumt, wie ich ihn zum ersten Mal am Rand des Dämmersees sah. In der Ferne konnte ich die Alte Stadt am anderen Ufer erkennen. Dann wurden seine Augen immer größer und größer. Ich fiel regelrecht in sie hinein, wie schon zuvor, und da war auch wieder das Meer und der Strand. Und ein Sturm, wie ein riesiger, schwarzer Schlauch, der genau auf mich zukam. Ich wusste, wenn er mich erreichte, dann würde ich umkommen, aber ich konnte nicht weglaufen! Der Strand war so weit und offen, ohne irgendeine Deckung. Ich war wie gelähmt, als wären meine Füße am Boden festgenagelt gewesen.«
»Gab es eigentlich die Festung mit dem schwarzen Turm auch in diesem Traum?«
Neria blieb stehen und starrte Sarns Rücken überrascht an. »Was?«
Die alte Frau wandte sich zu ihr um und musterte sie mit einem ungeduldigen Blick. Ihre Stirn war noch immer geschwollen, und die Platzwunde wies eine dick verschorfte Kruste aus getrocknetem Blut auf. »Na, die Festung auf der Steilklippe. Aus der Vision, die der Wächter dir sandte, und die dich überhaupt hierher brachte!«
»Ich ... ich bin mir nicht sicher ...« Neria hielt einen Moment mit gerunzelter Stirn inne, bevor sie etwas aufgeregter weitersprach. »Nein, den Turm gab es in diesem Traum nicht! Eigentlich sah der Strand völlig anders aus. Warum ist mir das nicht gleich aufgefallen?«
»Das wundert mich nicht. Du kennst schließlich nichts anderes als den Wald. Bestimmt würde deine Heimat für einen Küstenbewohner in den meisten Gegenden genauso gleich aussehen.«
»Vielleicht. Aber ich bin mir sicher, dass es ein Ort war, den es tatsächlich gibt. Der Sturm in meinem Traum war ja auch wirklich.«
Sarn nickte seufzend, ihren Blick auf die vielen heruntergeschleuderten Äste gerichtet, die vor
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