Runlandsaga - Feuer im Norden
zusammengekniffenen Augen an Enris empor. Mit einer gemurmelten Entschuldigung trat dieser zur Seite. Ihm nachstarrend, als verdächtigte er den jungen Mann, hinter seinem Rücken eine Grimasse zu schneiden, drängte sich der Kleine an ihm vorbei durch den Eingang zur Ratshalle. Enris kam sein Gesicht bekannt vor, doch es wollte ihm nicht einfallen, woher. Seiner teuren Kleidung nach zu urteilen war es bestimmt ein Kaufmann, mit dem er während seiner Zeit bei Larian zu tun gehabt hatte.
Er bemühte sich, einen anderen Platz als direkt vor der geöffneten Tür zu finden, denn es drängten weitere Leute hinter ihm in die Halle. Schließlich lehnte er sich etwas abseits des Eingangs an die Wand, sodass er immer noch einen guten Blick in den Raum hinein besaß, der sich allmählich mehr und mehr füllte.
Die Halle des Rates von Andostaan war der Hauptraum in einem niedrigen, dafür aber um so weitläufigeren Gebäude aus massivem Eichenholz, das in der Mitte des Hanges am nördlichen Rand der Bucht stand. Davor erstreckten sich im äußeren Bereich der Stadt einzelne Besitztümer der reicheren Stadtbewohner, die an Zahl und Größe geringer wurden, je weiter man sich dem Stadtkern und dem Hafen näherte. Hinter der Ratshalle nahm die Steigung abrupt einen so steilen Verlauf, dass jenseits des Hauses kein weiteres mehr in den Hangrücken gebaut worden war.
Das Gebäude selbst wurde an drei Seiten von einer breiten Veranda eingesäumt. Dicke Holzsäulen trugen das leicht abgeschrägte Dach dieses Vorbaus. Sie standen eng nebeneinander und waren mit verschlungenen Schnitzereien verziert, die Bänder aus Blättern darstellten. Eine Reihe von eisernen Laternen schwang dicht darunter im Wind, befestigt an einem Seil, das um jede der Säulen geschwungen war. Die Lichter tanzten in der Dunkelheit wie eine Gruppe übergroßer Leuchtkäfer.
Dafür, dass die Versammlung so kurzfristig einberufen worden war, hatte das bevorstehende Ereignis eine große Menge Schaulustiger angezogen. Grundsätzlich war es der Rat der Händler und Kaufleute, der über alle wichtigen Geschäfte in Andostaan entschied. Doch für gewöhnlich durfte jedermann, der in der Stadt ansässig war, dabei sein, wenn Entscheidungen gefällt wurden, und sein Wort an die Ratsmitglieder richten. Da sich dieses Recht bisher kaum jemand hatte nehmen lassen, war die Halle während solcher Versammlungen fast immer zum Bersten voll gewesen. Enris vermutete, dass es an diesem Abend ebenfalls so sein würde.
Er war vor einer knappen halben Stunde angekommen und wartete im Vorraum auf Arcad. Mirka war bereits in der Halle verschwunden. Enris hatte zwischenzeitlich mehrmals versucht, vom Eingang aus zwischen den Bankreihen und den vielen Menschengruppen im Inneren des Raumes den roten Haarschopf des Jungen zu erspähen, hatte ihn aber nirgends entdecken können. Er richtete sich von der Wand auf, an der er gelehnt hatte, und begab sich nach draußen auf die Veranda, vorbei an einer Gruppe mehrerer junger Frauen, die aufgeregt miteinander tuschelten, während sie hinein gingen. Vielleicht war Mirka, als er gerade nicht hingesehen hatte, wieder ins Freie gerannt. Außerdem konnte es nicht mehr lange dauern, bis Arcad hier eintreffen würde.
Kaum dachte er an den Elfen, als ihn erneut das Gefühl, versagt zu haben, so schmerzhaft traf, als hätte sich ein spitzer Gegenstand in seinen Kleidern verborgen, der sich hart in seine Seite bohrte. Er würde Arcad erklären müssen, weshalb nur Mirka hier war, wieso es ihm nicht gelungen war, Theris und seine Eltern hierher zu schaffen. Natürlich war es nicht seine Schuld gewesen, dennoch ...
Er bog um die Ecke, erreichte die Längsseite der Veranda und sah sich um. Der Rotschopf war nirgends zu sehen und lief wohl irgendwo im Gebäude herum. Mit einem tiefen Seufzer setzte sich Enris auf die oberste Treppenstufe und beobachtete, wie immer wieder Gestalten aus dem Dunkel ins Licht der Veranda traten und an ihm vorbei unter das Vordach stiegen. Einige trugen Laternen mit sich und waren schon von weitem als schwankende helle Punkte erkennbar, wieder andere kamen den breiten Pfad im Finsteren herauf und wurden erst kurz vor dem Gebäude sichtbar. In der Ferne leuchteten einzelne Lichter der Stadt vor dem schwarzen Hintergrund der Bucht. Der abnehmende Mond hatte zwar bereits den Himmel erklommen, wurde aber von Wolken so verdeckt, dass die große Fläche des westlichen Meeres diesmal völlig verborgen lag. Auch von der Festung hoch
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