Runlandsaga - Feuer im Norden
Pfeife fortgelegt und ihr Kinn auf die Hände gestützt, während sie zuhörte. Sie unterbrach Neria nicht, sondern ließ die junge Frau erzählen, bis sie mit ihrem Bericht bei dem Angriff des Gorrandhas angelangt war.
Als ihr Gast geendet hatte, herrschte Schweigen. Eine Weile saßen sich die beiden still im Dunkeln gegenüber, bis Sarn schließlich aufstand und mit dem Rest des Feuers, das noch im Herd vor sich hinglühte, eine tönerne Öllampe entzündete. »Das sind beunruhigende Neuigkeiten«, sagte sie, während die Flamme am Docht hinabkletterte und den Raum immer mehr erhellte. Neria sah, dass die Miene der Alten ernst geworden war.
»Du behauptest, dass der Urahne eures Stammes eine Bedrohung für den Roten Wald, ja für ganz Runland vorausgesagt hätte. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, aber deine Geschichte bereitet mir große Sorgen. Trug sich wirklich alles so zu, wie du es erzählt hast?«
Die junge Frau nickte. »Genau so und nicht anders.«
»Hm. Ich glaube dir.«
»Obwohl du mich nicht kennst?«, fragte Neria verblüfft. Ein Mensch traute dem Wort einer Voron! Die Alte erstaunte sie immer wieder.
»Ich kenne dich nicht, aber ich habe dir ja bereits gesagt, ich weiß um dein Volk. Ihr seid keine Aufschneider wie die Menschen in den Städten. Ihr meint, was ihr sagt, und ihr würdet die Worte eures Urahnen Talháras niemals leichtfertig in den Mund nehmen.«
Neria zuckte zurück, als hätte Sarn sie geschlagen. Sie sprang von ihrem Stuhl auf. »Woher weißt du, wie er heißt?«, rief sie. »Ich habe immer nur von unserem Wächter gesprochen! Niemand außer uns Voron kennt seinen Namen!«
Unwillkürlich zuckte ihre Hand an ihrem Kleid hinab, doch schnell erinnerte sie sich, dass der Dolch in der Scheide an ihrem Gürtel steckte, der neben ihrem Rucksack auf dem Boden lag. Wieder war keine Waffe in Reichweite! Wütend biss sie die Zähne zusammen.
Sarn hatte sich nicht bewegt. »Beruhige dich wieder«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich bin ein Mensch, aber ich bin nicht dein Feind. Erinnere dich daran, dass ich um die Verborgenen Dinge weiß. Glaubst du, ich wäre all die Jahre hier im Roten Wald die Wege der Erdmagie gegangen, ohne jemals dem Weißen Wolf zu begegnen?«
Neria glaubte nicht recht gehört zu haben. Ihr Urahne hatte sich einem gewöhnlichen Menschen gezeigt? Verblüfft setzte sie sich. »Du kennst Talháras tatsächlich?«
»Ay, Mädchen, ich kenne ihn. Auf meinen Reisen in die Geistwelten bin ich ihm zweimal begegnet, aber das ist schon sehr lange her. Damals war ich noch jünger und gerade erst in dieser Gegend angekommen. Wie die meisten, die auf den Wegen der Erdmagie gehen, war ich als junger Mensch verflucht neugierig und steckte meine Nase tief in Angelegenheiten, die mich eigentlich nichts angingen. Bei meiner ersten Begegnung mit Talháras hat er mir das Leben gerettet.«
»Er hat ... was? «
»Du hast schon richtig gehört«, meinte Sarn schmunzelnd. »Nicht, dass er viel mit mir gesprochen hätte. Schließlich gehöre ich nicht zu den Voron. Aber wer im Roten Wald Erdmagie webt, der erfährt auch von den mächtigen Geistern, die an diese Gegend gebunden sind. Talháras ist nicht der Einzige. Die Wälder im Wildland sind durchtränkt von Erinnerungen. Nur die Geister der Laranbäume in den Mondwäldern weiter im Süden erinnern sich noch länger zurück. Der Rote Wald ist die Heimat von Wesen, die schon alt waren, als die Dunkelelfen den Steinkreis errichteten, den ihr die ›Riesensteine‹ nennt, lange bevor euer Stamm hier Fuß fasste.«
Neria ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder. Ihr Gesicht war ein einziger Ausdruck der Verblüffung. Eine Menschenfrau kannte den Namen und das Aussehen des Geistwächters ihres Volkes! Und nicht nur das, er hatte sogar mit ihr gesprochen. Zugegeben, sie war bestimmt anders als andere ihrer Art, eine Hexe, die um die Verborgenen Dinge wusste. Dennoch war es ein Schock, eine Außenstehende so selbstverständlich von Talháras sprechen zu hören, als wäre es ein entfernter Verwandter. Der Urahne mochte seine Gründe haben, wieso er es zugelassen hatte, dass eine Menschenfrau von ihm erfuhr, aber Neria kannte diese Gründe nicht. Sie musste zugeben, dass ihr so vieles an dem Wesen, dessen Führung sie wie jeder ihres Stammes bisher blind gefolgt war, dunkel und unbegreiflich blieb.
Kopfschüttelnd holte sie tief Luft. »Bei der Träumenden, was geschieht hier! Seitdem der Wächter mir die unheimlichen Bilder
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