Runlandsaga - Feuer im Norden
mal zu den Riesenfelsen und wieder zurückzulaufen, hat meine alten Knochen doch sehr erschöpft. Außerdem sehen im Licht des Tages die Dinge oft anders aus. Ich brauche Zeit, um über das nachzudenken, was du mir über die Bedrohung unserer Welt erzählt hast. Bei derart wichtigen Dingen ist es gefährlich, sie unüberlegt zu besprechen.«
Jetzt, da Sarn davon angefangen hatte, begann sich Neria ebenfalls müde zu fühlen. Sie willigte ein, sich schlafen zu legen, und machte es sich auf ihrem Lager neben der Bettstatt der alten Frau bequem, während diese das Fenster schloss, sich ebenfalls hinlegte und die Lampe löschte.
»Sollten wir das Fenster nicht für Larnys offen lassen?«, fragte Neria, als es dunkel im Raum geworden war.
»Nicht nötig. Wenn er bis jetzt nicht aufgetaucht ist, dann wird er nicht vor Tagesanbruch zurückkommen. Manchmal zieht er sich in eine der Aushöhlungen in der Felswand hinter dem Haus zurück. Er ist nicht an Besuch gewöhnt.«
Neria wühlte ihren Kopf in das Kissen, das Sarn ihr hingelegt hatte, und versuchte zu schlafen. Es wollte ihr nicht gelingen. Ihr Körper mochte müde sein, ihr Geist war es nicht. Zuviel war schon wieder geschehen, seit sie in der Hütte der alten Frau aufgewacht war. Sie fragte sich, was die Hexe, die im Dunkeln neben ihr lag, wohl noch alles über den Roten Wald wissen mochte. Bestimmt kannte sie Geschichten aus den Alten Tagen, von denen selbst die Ältesten ihres Dorfes keine Ahnung hatten.
»Sarn?«
»Hmm?« Die alte Frau klang, als hätte sie sich fast schon an der Schwelle zum Schlaf befunden.
»Was weißt du über die Riesenfelsen und das Grab darunter? Du hast gesagt, die Dunkelelfen hätten den Steinkreis errichtet. Ich habe früher einmal gehört, dass die Erstgeborenen in alter Zeit weit im Westen von hier ein Reich besaßen. Stammt das Cairan auch von ihnen?«
Neria hoffte, dass die Hexe nicht schon zu müde zum Reden sein würde. Wenn sie früher nicht hatte einschlafen können, weil ihr etwas auf der Seele gelegen hatte, dann waren es ihre Mutter, manchmal auch Ukannit gewesen, die sich im Finstern zu ihr gesetzt und ihr eine Geschichte erzählt hatten. Manchmal berichteten sie nur von den Ereignissen des Tages, von der glücklich verlaufenen Geburt einer kleinen Ziege oder wie der Hecht am Südufer des Dämmersees, ein steinalter, zäher Brocken, wieder einmal jemandem von der Angel entkommen war. Aber oft waren es auch Geschichten, die nichts mit den täglichen Arbeiten zu tun gehabt hatten. Vor allem Ukannit wusste viel aus vergangenen Zeiten, bis zurück zu den Tagen, als die Vorfahren der Voron die Meldaanberge überquert hatten und in den Roten Wald gekommen waren. Neria liebte diese Erzählungen von einst. Schon immer hatte sie sich bei ihren Streifzügen durch die Wälder nahe der Alten Stadt gefragt, was die Steine der Türme um Talháras‘ Behausung oder die gewaltigen Eichen am Rand der Siedlung hätten erzählen können, wenn sie der Sprache mächtig gewesen wären. Was mochten sie schon alles gesehen haben!
Ihr Wunsch wurde erfüllt. Sarn hörte sich zwar müde an, doch es schien ihr nichts auszumachen, noch eine Weile wach zu bleiben. »Das Cairan ist nicht von den Endarin erbaut worden. Die Elfen legen ihre Toten nicht in Hügelgräber. Sie verbrennen sie.«
»Wer war es dann, der es errichtet hat?«
»Es waren Menschen, die in der Dämmerung der Zeit aus dem Regenbogental über das Gebirge kamen, lange vor denen, die später Andostaan und Menelon gründeten, und lange vor eurem Volk. Damals waren die Menschen gerade erst in Runland angekommen, und wie dir bestimmt bekannt ist, gab es in jener Zeit noch keine Voron.«
»Ay, ich weiß«, sagte Neria knapp. Nach einem kurzen Zögern fügte sie hinzu: »Als ich klein war, hat man mir erzählt, dass wir in den Alten Tagen, als wir noch südlich der Meldaanberge lebten, nicht anders waren als andere Menschen, und dass sich der Wächter des Roten Waldes unser angenommen hat. Die Fähigkeit zur Verwandlung ist sein Geschenk an uns.«
»Das ist wahr«, erwiderte Sarn. »Zu jener Zeit, als Runland noch jung war und wir Menschen gerade erst aus unserer zerstörten Welt geflohen waren, an die sich heute kaum mehr jemand erinnert, trafen die Elfen auf unsere Ahnen. Sie sahen, wie schwer es ihnen fiel, in der Wildnis des Nordens Fuß zu fassen. Aus Mitleid luden sie die Menschen ein, mit ihnen in ihr Reich zu kommen und bei ihnen zu wohnen.
Damals lebten die Elfen noch nicht
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