Runlandsaga - Sturm der Serephin
ich das Abenteuer gefunden – oder es mich, wenn man es recht bedenkt.
»Das Wissen um die Verborgenen Dinge«, sprach er laut aus. »Ich kann nicht sagen, ob es das war, was ich suchte, als ich hierher kam.«
Arcad ging nicht näher darauf ein.
»Du hast gesagt, du hättest Margon erst gestern kennen gelernt. Aber als er starb, da hast du um ihn geweint wie um einen alten Freund.«
Enris spürte eine eigenartige Mischung aus Ärger und Belustigung in sich aufsteigen. Diesem Endar konnte man so leicht nichts vormachen! Nun setzte Arcad ihm genauso zu, persönliche Dinge zu offenbaren, wie der Elf selbst zuvor gedrängt worden war, sein Wissen preiszugeben. Vielleicht war es nur gerecht, ebenfalls einige Spielsteine aufzudecken.
»Das ist wirklich nicht einfach zu erklären. Nur soviel: Ich stamme eigentlich nicht aus Andostaan, sondern aus Tyrzar. In der Nacht, bevor ich mich entschloss, aus meiner Heimatstadt fortzugehen, erzählte mir ein fremder, alter Mann eine Geschichte, in der auch Margon und Thaja vorkamen. Aber es war mehr als das, es war wie ... wie eine Vision, wie Magie.«
Hilflos irrte sein Blick zu Arcad hinüber, der ihn unverwandt ansah.
»Ich weiß kaum, wie ich es beschreiben soll. Ich teilte die Gefühle der beiden. An einigen Punkten der Geschichte war es fast, als befände ich mich in ihren Köpfen und sähe alles durch ihre Augen. Deshalb war ich so traurig, als die beiden starben, und ich bin es noch. Auch wenn ich sie erst gestern kennen gelernt habe, so wusste ich doch schon so lange um sie wie um alte Freunde. Es ist so verrückt! Sie kannten mich eigentlich gar nicht, aber sie fehlen mir, als wären meine eigenen Eltern gestorben!«
Er spürte, wie seine Stimme zu brechen begann, und verstummte. Enris wusste, wenn er weiterspräche, würde er erneut zu weinen anfangen, und das wollte er nicht. Nicht jetzt und hier.
Arcad, der schweigend neben ihm einhergegangen war, schüttelte fassungslos den Kopf. Ein erstaunter Ausdruck lag in seinem Gesicht.
»Bei der Träumenden! Was du erzählst, ist unfassbar! Hast du überhaupt eine Ahnung, was für ein Geschenk du da erhalten hast?«
»Wovon redet Ihr?«, fragte Enris verwirrt.
»Dir ist eine schwache Form eines Sellarats zuteil geworden! Bei allen Göttern, ich könnte nicht sagen, wann ich jemals davon hörte, dass ein Temari so etwas erlebt hätte!«
»Was ist das – ein Sellarat ?«, unterbrach ihn Enris.
»Kommt ihr endlich?«, erklang Mirkas Stimme aus der Ferne. »Wie lange sollen wir denn noch vorausgehen?«
Enris winkte den beiden Jungen kurz zu.
»Wir sind gleich fertig!«, rief er laut und wandte sich mit ungeduldiger Miene erneut an den Elfen. Noch ehe er ihn auffordern konnte weiterzusprechen, fuhr Arcad fort.
»Ein Sellarat ist eine gedankliche Verbindung, mit der ein Serephin seine Gedanken und Gefühle mit einem anderen teilen kann. Wer ein Sellarat erfährt, der erhält Zugang zu den Erinnerungen desjenigen, der sie ihm zuteil werden lässt. Die großen Harfner und Geschichtenerzähler meines Volkes in den Mondwäldern waren zu einem schwachen Nachhall eines wahren Sellarats in der Lage. Sie konnten eine Geschichte so erzählen, dass die Gestalten der Erzählung für die Zuhörer lebendig wurden, solange die Geschichte andauerte. Es war die Magie der Schöpferischen Worte, ein Abglanz der Macht, derer sich die Götter der Ordnung und des Chaos in der Dämmerung der Zeit bedienten, als sie die Leere der Welten mit Leben erfüllten. Heute beherrscht niemand in den Mondwäldern mehr diese Kunst. Du weißt nicht, wer der Fremde war, der dir von Margon und Thaja erzählte?«
Enris schüttelte den Kopf.
»Ich habe nie seinen Namen erfahren.«
Er setzte dazu an weiterzusprechen, als ihn plötzlich die Empfindung überkam, dass sich in seinem Inneren ein enger Knoten gelöst hatte. Zum ersten Mal seit jener bedeutsamen Nacht vor seiner Abreise aus Tyrzar fühlte sich sein Verstand dazu in der Lage, die Erinnerung an die Geschichte des alten Mannes anzunehmen, ohne sich an ihr zu reiben und sich dabei verrückt vorzukommen. Und das nur, weil dieser Elf dem Erlebnis einen Namen gegeben und ihm versichert hatte, so etwas zu kennen. Was für seltsame Umwege der menschliche Verstand doch oft einschlug!
Enris sah, dass Arcads Blick nachdenklich in die Ferne geschweift war, zum Horizont über dem Meer, der sich inzwischen völlig verdunkelt hatte. Nur der matte Schein des Mondes, dem ein gutes Stück verloren gegangen war,
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